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Libertäre Rundschau

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Kurt Kowalsky:

Er brennt nicht!

Das Faszinosum militärischer Technik ist durch tiefes nasales Ein- und Ausatmen meist binnen Sekunden verschwunden.

 

Dieses Bild verteilten die amerikanischen Befehlshaber an ihre Soldaten.Eigentlich hatte ich beabsichtigt, einem Bekannten einen gepfefferten Brief zu schreiben, da dieser mir zum »Fest der Besinnung und des Friedens« eine frohe Zeit gewünscht hatte. Leute, die mich wirklich kennen, hätten sich das sicher zweimal überlegt. Jetzt ist daraus ein langer Besinnungsaufsatz geworden, den man auch im Sommer am Strand lesen kann. Mein Bekannter aber hat nie eine Antwort erhalten.  

Mein geschichtlicher Rückblick auf die beiden Weltkriege, darf keineswegs dahingehend interpretiert werden, dass ich diese Zeit »aufarbeiten« will. Ich will auch nicht vor den »Nazis« warnen, wie es heute üblich ist. Ich will vor dem Aberglauben warnen, der jedem Herrschaftssystem die Nahrung gibt, um seine immanenten ethischen Defekte kulturell zu verankern.


Tatsächlich habe ich mich als Kind auf Weihnachten gefreut. Da man mich angelogen hatte, vermutete ich in diesem Zinnober auch noch irgendein Mysterium. Später wurde mir klar, dass der gesamte Weihnachtszauber weniger ist als ein vorgeführter Kartentrick eines Kleinkünstlers. Dann jedoch wurde mir gesagt, es wäre ein Fest der Besinnung, der menschlichen Wärme und des Friedens.

Da es ständig Kriege gibt, hätte das Fest wohl in der Vergangenheit erst gar nicht stattfinden dürfen. Vielleicht sind aber auch zu viele Ochsen und Esel am mörderischen Spiel beteiligt. Man sollte die Intelligenz der am Kriegsgeschäft Beteiligten aber grundsätzlich nicht unterschätzen. Ich selbst war bereits vor über 40 Jahren zu dumm dazu. Aber ich bin mir sicher, sollte man mich als alten Mann irgendwann doch noch nötigen, eine Kriegswaffe abzufeuern, würden dies die Befehlshaber nicht überleben.

Der Erste Weltkrieg dauerte vom 3. August 1914 bis 11. November 1918. Dazwischen wurde viermal Weihnachten gefeiert. Der Zweite Weltkrieg dauerte vom 1. September 1939 bis 2. September 1945. Dazwischen gab es sechs Weihnachtsfeste. Ich bin wohl kein Militärexperte, doch möchte ich behaupten, dass Weihnachtsfeste Kriegsverläufe nicht wesentlich behindern. Die Zahl der Kriegstoten lag zwischen 60 und 70 Millionen. Von Besinnung konnte also auch nicht die Rede sein.

Natürlich sind solche Zahlen Statistik. Es zerreißt uns das Herz, stirbt einer unserer Lieben. Wir schrecken auf, verunglückt auch nur ein Reisebus oder stürzt ein Passagierflugzeug ab. Statistik aber kennt weder Schmerz noch Mitgefühl, sie hat nur die deskriptive Funktion, Nachricht von einer zuvor definierten Gesamtheit zu geben, welche uns nicht wirklich berührt.

Der wirkliche Tod riecht unangenehm und penetrant. Wer ihn einmal gerochen hat, vergisst dies nicht so schnell. Und Sterben ist kein Umfallen, wie es die Filmemacher inszenieren. Zerfetzt ein Sprengkörper den Bauchraum, so sind diese Menschen oft noch in der Lage, mit beiden Händen ihr Gedärm an sich zu halten. Die Schwerverletzten richten sich wieder auf, gehen noch ein paar Schritte: »He, Kamerad, hilf mir bitte …« Dann riecht es nicht nur nach Blut, sondern auch nach Kot und Urin.

Das Faszinosum militärischer Technik ist durch tiefes nasales Ein- und Ausatmen meist binnen Sekunden verschwunden.

Aber eine Gesamtheit blutet nicht, riecht nicht, verwest nicht und niemand trauert um sie. Im Hokuspokus der großen Zahlen können dann gewisse Historiker wühlen, ohne dass ihnen ständig übel wird. Wurde aus dem massenhaften Sterben dann wenigstens irgendeine Konsequenz gezogen, welche einer näheren Erörterung wert wäre?

Nein! Nirgendwo in der Stadt und dem Erdkreis werden Soldaten geächtet, ihre Befehlshaber gemeuchelt, noch wird auch nur der Versuch gemacht, den politischen Sumpf, aus dem sie hervorgehen, nur ansatzweise auszutrocknen. Im Gegenteil: Nach dem Ende des sogenannten Kalten Kriegs sind bis heute allein in Deutschland die Militärausgaben um über 40  % gestiegen. 48 Milliarden Euro (48.000.000.000) gibt der Staat Deutschland jährlich für sein Militär aus. 640 Milliarden investieren die USA jährlich in ihre Kriegsmaschinerie. Das ist mehr, als China, Russland, Saudi-Arabien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Japan zusammen ausgeben.[1]

Wer glauben mag, dass derartige Rüstungsausgaben für präventive Verteidigungsanstrengungen notwendig sind, glaubt auch daran, dass Maria in einem Kuhstall in Bethlehem ein Kind zur Welt gebracht hat und danach noch Jungfrau war. Wer vermutet, dass derartige Rüstungsanstrengungen notwendig sind, um irgendwelche, mit Teppichmesserchen bewaffnete, islamistische Terroristen abzuwehren, ist behandlungsbedürftig krank. [2]

Das eigentliche Mysterium von Leid, Blut, Sterben und Tod sitzt Weihnachten am Esstisch und isst Gänsebraten. Es verbirgt sich nämlich im menschlichen Aberglauben, dass die vom Staat aufgezwungene Ordnung wohl verbesserungswürdig wäre, doch insgesamt notwendig, quasi heilig ist.

Kriege – sollte es sich noch nicht überall herumgesprochen haben – werden von Staaten geführt. Kriege sind logische Folge staatlicher Ordnung. Ich weiß, wir hatten als Kinder Angst vor dem bösen Wolf. Der »gute« Bürger fürchtet sich aber vor Räuberbanden: Dunkelhäutige Ausländer, unchristlich und asozial, massakrieren bekanntlich ganze Familien. Mag sein. Ich selbst bin in Berlin quasi von Türken, Arabern und Russen umzingelt. Noch lassen sie mich in Ruhe. Aber ich habe mir eine Sonnenbank gekauft, damit ich nicht immer so grau und deutsch aussehe.

Wie dem auch sei. Räuberbanden haben in den letzten 100 Jahren bestimmt keine 70 Millionen Menschen umgebracht. Und die Rolle der Wölfe (Canis lupus) beim Fressen von kleinen Kindern möchte ich hier nicht untersuchen.

Im Gegensatz dazu soll es aber schon mal vorgekommen sein, dass Hinz oder Kunz am Heiligen Abend seiner Gattin besoffen auf die dumme Fresse geschlagen hat, weil die aufgesetzte Harmonie mit der fetten Gans nicht so richtig verdaut wurde. Spätestens am ersten Weihnachtsfeiertag hat man sich dann aber mit seinem »Schätzchen« wieder versöhnt. Pack schlägt sich – Pack verträgt sich.

Dasselbe Pack betrachtet jedoch die Harmonie im Ordnungsgefüge des Staates als etwas Sakrosanktes. Wer sie bricht, hat sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung versündigt, als hätte ein Messdiener hinter einen Tabernakel geschissen. Was verfassungswidrig ist, bestimmt wohl nicht der Weihnachtsmann, sondern ein sibyllinisch urteilendes Verfassungsgericht. Doch wäre Deutschland in keiner guten Verfassung, hätte es sich wohl herumgesprochen.

Ja, es müsste sich schon herumsprechen, denn eine diesbezügliche Lektüre ist nur einigen Staatsrechtlern vorbehalten. Denn hätte man da einmal nachgelesen – es ist ja nicht verboten –, hätte man festgestellt, dass die freiheitlich-demokratische Verfasstheit in ihrer hinterlistigen Monstrosität im Grunde genommen aus ideologischen Leerformeln besteht und so wenig messbar ist wie die Adjektive lang, kurz, groß oder klein.

Zugegeben, mancher Systemtrottel wird Derartiges als semantische Spitzfindigkeiten abtun, liest er doch auch auf den Zigarettenpackungen als staatlich verordneten Warnhinweis »Raucher sterben früher!«

Früher als wer oder was? Die Komparation wird von den meisten Linguisten als Flexion angesehen. Und warum sollte die sinnlose Beugung des Adjektivs nicht mit der wohlkalkulierten Beugung des »Rechts« einhergehen?

Eigentlich kann man eine Leerformel so wenig beugen, wie man eine Null teilen kann. Wer weder etwas von Mathematik noch von Juristerei versteht, sollte einmal in Artikel 26 Grundgesetz nachlesen. Dort heißt es: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.«

Man könnte also meinen, dass ein Angriffskrieg verboten wäre.

Als nun – ohne Billigung des UN-Sicherheitsrates – die NATO mit deutscher Beteiligung 1999 einen Angriffskrieg gegen die jugoslawische Armee führte und so nebenher 54 Objekte der Verkehrsinfrastruktur, 148 Gebäude, 300 Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungseinrichtungen sowie 176 Kulturdenkmäler, darunter 23 mittelalterliche Klöster, zerstörte oder beschädigt (36-mal wurde alleine das aus dem 15. Jahrhundert stammende Kloster von Rakovica bombardiert), stellten nun zahlreiche Bürger Strafantrag beim Generalbundesanwalt. Doch dieser nahm keine Ermittlungen auf.

Warum nicht? Serbien hatte bestimmt weder die NATO noch Deutschland angegriffen. Folglich führte die NATO einen Angriffskrieg. Der Herr Generalstaatsanwalt meinte, dass damals das »friedliche Zusammenleben der Völker« bereits gestört gewesen sei, es folglich die Bundesrepublik Deutschland gar nicht mehr stören konnte.

Mit welcher Geschwindigkeit breitet sich eigentlich Dunkelheit aus?

Aber ich möchte den damaligen Generalstaatsanwalt nicht kritisieren. Er verstand sein Handwerk, das eben das des Staates ist. Doch stellen wir uns einmal vor (nur so aus Spaß), der Herr hätte Anklage erhoben. Und irgendein Gericht hätte geurteilt, dass der Straftatbestand des § 80 StGB erfüllt gewesen wäre. Darauf stehen mindestens zehn Jahre Freiheitsstrafe. Was wäre dann passiert? Hätte man den Bundeskanzler verhaftet? Oder die Parlamentarier, welche dafür gestimmt haben? Oder das gesamte Lumpenpack? Oder vielleicht doch nur die Pinguine, welche im Bundestag immer das Wasser bringen?

Fazit: Die Heilsbotschaft der staatlichen Verfassung enthält alle Elemente, die notwendig sind, es den jungen Männern und Frauen irgendwo in einem fremden Land zukünftig ebenfalls zu ermöglichen, ihr Gedärm in den Bauchraum zurückzudrücken.

Weihnachten ist ohne Gänsebraten durchaus vorstellbar. Es ist aber fraglich, ob man dabei einer Gans das Leben rettet. Sicher ist jedoch, dass ohne die sakrosankte staatliche Ordnung sich die Tötungsverlangen innerhalb der staatlichen Machttrivialität in den egozentrischen Nutzenkalkülen vereinzeln. »Was? Ich soll einen Russen ermorden? Tut mir leid, aber meine Frau ist krank und ich muss noch den Gänsebraten einkaufen. Ein andermal gerne.«

Was haben aber nun die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen mit Krieg zu tun? Genau so viel, wie Autofahrer feststellen können, dass so manche durchaus sinnvolle Geschwindigkeitsbegrenzung vor Schulen auch noch nachts gültig ist, und, gerade nachts, dort dann die Radarfallen aufgestellt werden. Oder man als Fußgänger an der roten Ampel stehen zu bleiben hat, obwohl kein Auto kommt. Oder man verpflichtet ist, stapelweise amtliche Dokumente herbeizuschaffen, wenn man heiraten will. Oder sich der Staat einmischt, will man sich scheiden lassen. Oder man nach Sonnenuntergang nicht am See angeln darf. Oder der Polizist seinen Namen nicht nennen muss. Oder die Steuergesetze sogar für manche Juristen unverständlich sind, aber der Richter den Steuersünder im Namen des Volkes verurteilt. Oder es Berufsverbote gibt. Oder es Sondergesetze für Abgeordnete gibt. Ich könnte die Aufzählung seitenweise fortsetzen. Stets handelt es sich um Exerzitien des Machterhalts.

Bereits der Tyrann Gessler in Friedrich Schillers Drama »Wilhelm Tell« konnte keinen unmittelbaren Nutzen daraus ziehen, dass die Untertanen seinen Hut grüßen mussten. Mittelbar war diese Anordnung jedoch wichtig, um Gefolgschaft und Gehorsam einzuüben. An dieser Systematik hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Die Bürger haben die vom Staat gesetzten Regeln zu befolgen, haben sich möglichst gegenseitig zu kontrollieren, zu bevormunden und zu denunzieren.

Es ist noch nicht so lange her, als der Staat Parkbänke gelb anstreichen ließ, auf denen die Juden zu sitzen hatten. Noch in den 60er Jahren waren in den USA für die Neger in öffentlichen Verkehrsmitteln bestimmte Plätze (und nur die) vorbehalten. Haben wir das hinter uns? 

Ja, vielleicht. Das Wort »Neger« (von französisch »nègre«, spanisch, »negro«, lateinisch »niger« für »schwarz«) wurde von bestimmten Herrschaften wegretuschiert. Am kolonialistischen Weltbild hat sich jedoch nichts geändert, wie man an den Handelsbeschränkungen der USA und der EU zulasten Schwarzafrikas belegen kann. Wie einfach ist es doch, seinen Nachbarn zu rügen, weil er sich politisch unkorrekt ausgedrückt hat. Und wie zwecklos ist es, gegen den Protektionismus der EU und der USA vorgehen zu wollen.

»But one hundred years later the Negro still is not free«, hatte Martin Luther King gerufen. Vom heuchlerischen Frisieren der Sprache hatte er nicht gepredigt.

Aber das nur nebenher. Was machen eigentlich Sie, wenn morgen in der Stadt, in der Sie wohnen, der Park für Türken gesperrt wird? Und bevor Sie antworten: Sind Sie nicht auch die Person, die sich gegen die letzte Steuererhöhung nicht gewehrt hat? Das traf Sie persönlich. Jetzt träfe es »nur« die anderen.

Jede dieser Vorschriften ist für sich genommen zur Erhaltung der staatlichen Herrschaft vollkommen unwichtig. In ihrer Gesamtheit sind sie jedoch konditional für das Denken der Menschen. Der so eingeübte Gehorsam ist bereits hinreichender Garant, dass sich Menschen ohne direkte Gewaltanwendung nicht so verhalten, wie sie sich aus freiem Antrieb verhalten würden, sondern so, wie es die Machthaber anordnen. Jede kriegerische Auseinandersetzung ist jedoch ohne An- und Unterordnung nicht denkbar.

Natürlich ist die Widerrede ausdrücklich erlaubt. Ist doch der meist verhallende, deshalb sinnlose Protest der Bürger Pflichtlektüre der politischen Nomenklatura. Fordert eine kritische Masse zum Bespiel kostenlosen Gänsebraten für die Armen, findet sich im Verzeichnis der Lügner und Beutelschneider auch eine Figur, welche genau dieses Anliegen aufnimmt, geschickt moderiert und bis zur Unkenntlichkeit für seine Zwecke ausschlachtet.

Kostenloser Gänsebraten hat genau diese Qualität, welche der Psychologismus der Politik benötigt. Beschäftigt sich das Volk mit Gänsebraten, mit verschleierten Frauen, schnauzbärtigen Männern, mit Fußball oder anderen Spielen, spürt es wenig Verlangen, sich über Grundsätzliches zu empören. Denn würde man die Finanzierung des militärisch-industriellen Komplexes von freiwilligen Spenden der Bürger abhängig machen, so hätte sich das Thema schnell erledigt. Mit anderen Worten: Massenvernichtungswaffen gäbe es nicht, hinge ihre Finanzierung von der stets freien Entscheidung jedes einzelnen Steuerzahlers ab.

Die regelmäßige Möglichkeit des Plebses, aus einer Menge soziopathischer Figuren das »Gesocks« auszuwählen, das dann angeblich vier Jahre lang seine Interessen vertritt, befördert die Illusion, man wäre Teilhaber und Nutznießer der staatlichen Ordnung. Was unterscheidet eigentlich eine Aufziehmaus von einer Armbanduhr? An der Aufziehmaus fehlt der Zeiger.

Ähnlich unterscheidet sich das Phänomen der Wahlen zu den Parlamenten von der individuellen Wahl, welche die Leute täglich treffen. Das Grundelement einer freien Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten besteht nämlich darin, keines der Angebote zu wählen und damit Grundsätzliches entschieden zu haben. Der Inhaber eines Ladengeschäftes macht sich deshalb wenig Gedanken darüber, welche seiner Waren vom Kunden ausgewählt werden. Von existenzieller Bedeutung ist für ihn, ob die Kunden überhaupt sein Geschäft präferieren oder daran vorbeigehen.

Sind die Kunden jedoch gezwungen, aus den ihnen vorgesetzten Waren zu wählen, so hat dies etwas mit Begriffen wie Nötigung oder räuberischer Erpressung zu tun, keinesfalls jedoch etwas mit dem Begriff Wahl. In Analogie zur politischen Wahl spielt es selbstverständlich keine Rolle, ob man das Geschäft präferiert oder nicht oder irgendwo ein Sack Reis umfällt – zu bezahlen sind die Waren immer. Und zwar keinesfalls die, welche irgendwelche Kunden dann doch gewählt haben, sondern andere, welche nirgends in der Auslage zu finden waren: Massenvernichtungswaffen zum Beispiel. So gesehen war das Beispiel mit der Aufziehmaus illusionär.

Geheimnis des Glaubens. Tatsächlich könnte man in einem medial inszenierten Feldversuch auch die Erfahrung machen, dass durch einfaches Anhalten der Luft des Nachbarn Weihnachtsbaum Feuer fängt. Uri Geller hatte Ähnliches vorgemacht und Hunderttausende fanden in ihrer Küche verbogene Löffel, Gabeln und Messer. Und ist es analog nicht so, dass man an den Stammtischen dieser Republik millionenfach seine Erkenntnisdefizite zum Besten gegeben hat und dann irgendwann vielleicht doch feststellen konnte, dass sie (diese Erkenntnisdefizite) politischen Niederschlag fanden? Wer kennt eigentlich den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität?

Der Parlamentarismus ist gezwungen eine Politik zu exekutieren. Unabhängig der Wahlergebnisse, unabhängig der Parteienkonstellation und ihrer durchaus differenzierten Verheißungen wird genau die Politik exekutiert, welche den Machterhalt zu sichern in der Lage ist. Die Spielräume sind denkbar eng. Sie werden immer enger, weil die Verschuldung steigt, die Kompetenzen an supranationale Vereinigungen abgegeben werden oder die Regierung von ›ihren Freunden‹ einfach erpresst wird. (Vgl. Was ist politischer Wettbewerb?)

Das offene Machtsystem des Demokratismus ermöglicht es theoretisch wohl jedem Bürger, an den Entscheidungsprozessen teilzuhaben (zum Beispiel für einen Sitz im Parlament zu kandidieren), doch wird er bei der Umsetzung seiner Wahlversprechen an der seinen Absichten zugrunde liegenden ethisch defekten Rechtfertigung scheitern. Zugegeben, nicht leicht zu verstehen, doch ich komme darauf zurück.

Die Durchsetzung der Interessen unseres obigen Gänsefleischliebhabers ist nicht grundsätzlich, jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit ethisch defekt. Das fällt ihm nicht auf, weil er einerseits überhaupt nicht weiß, was man darunter versteht, anderseits glaubt, dass die Rituale und Regeln des Demokratismus eine gesellschaftliche Vereinbarung wären.

Das ist selbstverständlich nicht wahr. Es ist jedoch zu akzeptieren, dass große Teile der Gesellschaft diese Regeln als die ihren akzeptieren. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes (1949), die Verabschiedung der Notstandsgesetze (1968) mit dem angeblichen Verzicht der Westmächte auf ihre Vorbehaltsrechte sowie der Abschluss des Zwei-plus-vier-Vertrags (1991) belegen, dass Deutschland nach der Kapitulation 1945 nie wieder souverän war. Kein Land, das seit 1945 von den USA besiegt wurde, hat jemals seine volle Souveränität wieder erreicht.

Ich möchte jedoch davor warnen, daraus den Umkehrschluss zu ziehen und zu glauben, dass die Verfasstheit Deutschlands oder der deutschen Gesellschaft ohne das Diktat der Besatzungsmächte, ohne Vorbehaltsrechte, bei voller Souveränität heute in irgendeiner Beziehung freiheitlicher wäre.

Es ist auch ein Trugschluss, dass sich mit einer Zunahme plebiszitärer Elemente innerhalb des Staates an der ihm wesenstypischen Unterdrückung, Bevormundung und willkürlichen Einmischung in die Lebensgestaltung der Individuen etwas ändern würde. Die ethisch defekte Rechtfertigung der jeweiligen Machthaber zwingt sie geradezu, bestimmte Fragen dem Volk nicht zur Abstimmung vorzulegen.

In Deutschland bestimmt zum Beispiel § 3 der Abgabenordnung, was Steuern sind. Es gibt wohl keinen Wahlkampf, in dem nicht irgendein politisches Lager irgendwelche angeblichen Missstände aufzeigt und direkt oder indirekt fordert, zur Behebung dieses Missstandes irgendeine Steuer zu erhöhen. Derartige Aussagen sind dreiste Lügen. Wären sie wahr, wären sie ein Gesetzesverstoß und nach § 111 StGB strafbar. In der besagten Abgabenordnung steht nämlich ausdrücklich: »Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen …«

Und deshalb wird sich auch nur noch selten jemand erinnern, dass die Tabaksteuer einmal wegen der inneren Sicherheit erhöht wurde, ein anderer Mal wegen des Jugendschutzes und die Mineralölsteuer wegen des Lochs in der Rentenkasse angehoben wurde. Die Sektsteuer wurde übrigens 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt.

Nachdem die entsprechenden Steuererhöhungen verabschiedet sind, bestehen die vorgeschobenen Missstände nämlich weiter, nur schwatzen die politischen Claqueure eine Zeitlang nicht mehr davon.

Keine Frage, dass man mit wenigen propagandistischen Mitteln jeden beliebigen Sachverhalt problematisieren könnte und zu seiner Beseitigung Steuermittel fordert. Allen steht das jedoch bereits morgen frei. Wer den Dreck auf Kinderspielplätzen beklagt, kann sich selbst aufrufen, mit einem Sack zum nächsten Kinderspielplatz gehen, um dort den Unrat einzusammeln. Man kann zum Beispiel auch die geringe Unterstützung von sozial Schwachen anprangern und als unbürokratische Soforthilfe dem nächsten Obdachlosen einen Hunderter schenken. Doch so haben die sogenannten Demokraten ja nicht gewettet. Man möchte ja nicht selbst seinen Teil zur Behebung eines Missstandes beitragen, sondern lediglich seine faule Hand heben, damit andere (die »Reichen«) das bezahlen.

Das Plebiszit ist moralisch genauso defekt wie jede andere sogenannte demokratische Abstimmung, bei der eine absolute oder relative Mehrheit über die Minderheit entscheidet, ohne dass alle zur Feststellung aufgerufenen Beteiligten diesem Verfahren vor der Abstimmung zugestimmt haben.

Jedoch auch wenn dies der Fall wäre, ist ein derartiges Verfahren nicht davor gefeit, missbraucht zu werden. Der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels warf am 18. Februar 1943 in seiner berühmt gewordenen Rede im Berliner Sportpalast die Frage auf: »Wollt ihr den totalen Krieg?«

Bereits im Oktober 1941 war es Adolf Hitler mit der Gegenoffensive der Roten Armee vor Moskau klar, dass dieser Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Der weitere Kriegsverlauf speiste sich aus einer Mischung von irrationalen Hoffnungen, Wundergläubigkeit und Adolf Hitlers strukturfunktionalistischer Destruktivität. Im Rückblick verbieten sich sämtliche Planspiele, da die USA ab 1942 den Bau von Atombomben forcierten, während Deutschland die entsprechenden Wissenschaftler aus dem Land vertrieben hatte.

Trotzdem war Goebbels’ Rede eher von sozialpolitischer Bedeutung, weil der Begriff »Totaler Krieg« nicht darauf abzielt, ein größeres Gemetzel zu veranstalten, sondern eine Kriegsführung bezeichnet, welche möglichst alle gesellschaftlichen Ressourcen mobilisiert. Der amerikanische Präsident Roosevelt hatte übrigens diesen Begriff sechs Tage zuvor gebraucht. Da die historische Aufarbeitung im zwangsfinanzierten deutschen Bildungsfernsehen jedoch aus einer Mischung aus Lügen, Halbwahrheiten und falschen Rücksichtnahmen besteht, werden die wenigsten Menschen die entsprechenden Zusammenhänge kennen. Und natürlich waren in den Sportpalast nur überzeugte Nationalsozialisten geladen worden. In die Veranstaltungen heutiger Parteiführer wird ebenfalls nicht die Opposition geladen.

Nehmen wir jedoch an, diese Frage wäre 1943 zur Volksabstimmung gestanden. Geheim, frei und fair hätten alle stimmberechtigten Deutschen – auch die Soldaten an der Front – mit Ja oder Nein abstimmen können. Die Mehrheit der Leute hätte für Ja gestimmt.

Warum? Die letzten Ressourcen zu mobilisieren ist eine zutiefst menschliche Strategie, ist ein Kampf noch nicht endgültig verloren. Den Aufruf, nochmals gemeinsam alles zu geben, kennt man von jedem Mannschaftssport. Dass bei einer derartigen Übermacht der Alliierten es schon lange keine realistische Gewinnchance mehr gab, konnten die Leute damals nicht wissen. Sie hätten es auch nicht wissen wollen, weil dann die Alternative Kapitulation geheißen hätte, deren Auswirkungen sich die Menschen weit schlimmer vorstellten, als es dann tatsächlich kam.

Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir können jede größere Entscheidung des damaligen Kriegsverlaufes einer Volksabstimmung aussetzen. Immer haben die Menschen die aufbereiteten Informationen der staatlichen Machthaber zur Verfügung und die zum Teil sich widersprechenden, schwach koordinierten Informationen einer Opposition. Und stets werden die Machthaber die Abstimmung in ihrem Sinne gewinnen.

 

Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
Halt du sie dumm, – ich halt’ sie arm!

- Reinhard Mey -

 

Solange den Individuen nicht bewusst wird, dass ihre sogenannte Volkszugehörigkeit – sowohl in der territorialen wie auch in der kulturellen Verortung – größtenteils Produkt gewaltsamer, administrativer Willkür ist, und die von ihnen empfundenen identitätsstiftenden Merkmale nur zu einem geringen Teil selbstbestimmt sind, ist es für jeden einmal etablierten Machthaber möglich, seine Nutzenkalküle manipulativ auf die Beherrschten zu überwälzen. Im Wechselspiel von Dazugehören und Abgrenzen, in dem sich Personalität entwickelt, degeneriert diese zugunsten einer abstrakten und entfremdeten Sozialität.

Das Individuum selbst verortet sich in einer Phantomgemeinschaft, einer administrativen Floskel, in der es beschönigend »Mitbürger« genannt wird, wobei lediglich seine Funktion als Steuerzahler, Wahlberechtigter oder eben Rekrut gemeint ist.

Liegt die Produktivität eines solchen Mitbürgers über einem administrativ verordneten Mittelmaß, führt dies nicht zu Dank und Anerkennung dieser gespenstischen Sippschaft, sondern zu Neid und Missgunst. Während die Steuer- und Abgabenbelastung überproportional steigen, beschäftigt sich ein übermächtiger – von dem Opfer zu finanzierender – Kontroll- und Regulierungsapparat mit seinem Dasein, seinen Lebensverhältnissen, sowie seiner Produktivität.

Die soziale Orientierung ist vom Staat sowohl dem Grunde als dem Grade nach verordnet. Den so den Bürgern abgepressten Sozialleistungen mangelt es an jedweder positiven Eigenschaft. Sie werden weder mitmenschlich empfunden, noch sind sie Tugend. Sie sind weder Bestandteil der Kultur, noch theologisch geboten, geschweige denn, verstandesmäßig fassbar. Der zur Sozialleistung erpresste Leistungsträger gleicht einem in Ketten gelegten Elefanten, der mit spitzen Metallhaken und Elektroschocks in die Manege getrieben wird, ohne jemals wenigstens Applaus zu bekommen. Was er leistet, ist selbstverständlich, nie genug, keines Dankes wert.

Die Logik des Demokratismus führt zwangsläufig zu einer Art Sozialismus, welcher mit einer zunehmenden Entrechtung und dem moralischen Zerfall seiner sogenannten Mitbürger einhergeht. Bettler werden misstrauisch beäugt, bekommen sie doch »schon genug« Sozialhilfe.[3] Unternehmer werden der Ausbeutung bezichtigt. Reiche werden aus dem Land geekelt und trotzdem noch vom Staat verfolgt. Konzerne werden erpresst. Bürgerbewegungen diffamiert. Selbsthilfegruppen in die Illegalität getrieben. Nur die geheimdienstliche Überwachung ist flächendeckend. Was Erich Mielke (Minister für Staatssicherheit der DDR) nie zu träumen gewagt hätte, ist heute hingenommene Realität. Doch die Mauer und der Stacheldraht an der damaligen Grenze zwischen der BRD und der DDR waren Ausdruck dieses Misstrauens, welches durch die fortgesetzt erpresste soziale Orientierung entstehen musste.

Unter dem Vorwand des Umwelt-, Tier-, Natur-, Verbraucher-, Arbeits- und Gesundheits- und Minderheitenschutzes sowie dem Postulat von sogenannten Menschenrechten verwirklicht eine kryptofaschistische Meinungselite heute ihre Gewaltfantasien. Wenn die eigenen Kinder nach Hause kommen, einen Joghurt essen und den Becher – bevor sie ihn in den Müll schmeißen – auswaschen, bekommen die Eltern bereits einen Vorgeschmack von dem, was Indoktrination bedeutet.

Wie in allen indoktrinierenden Systemen sinken Leistung und Kreativität. Diesem Phänomen wurde mit einer flächendeckenden Senkung der schulischen Leistungsanforderungen begegnet. Da Universitäten in der Vergangenheit stets Keimzellen diverser politischer Proteste waren, wurden sie systematisch verschult. Lehre und Forschung wurden zugunsten von Auswendiglernen und Repetieren zurückgestellt.

Nach einer über 20-jährigen Dressur und begleitender medialer Indoktrination sind sich nahezu alle darin einig, dass es legitim ist, seinen Mitmenschen in die persönliche Lebensgestaltung hineinzureden. Was er essen und trinken darf, bestimmt nicht er, sondern die politisch korrekte Vorgabe. Rauchen ist selbstverständlich verboten, Fleisch essen ebenso. Abweichende Meinungen gelten als dümmlich. Wer Zweifel an den Klimaerwärmungsvorgaben der Umweltschützer äußert, gilt als Verschwörungstheoretiker und potenzieller Weltzerstörer. Wer militärische Einsätze im Ausland kritisiert, unterstützt ein neues Auschwitz.

Ein Narr, der glaubt, dass die Verkündung der frohen Botschaft von Demokratie und Freiheit, vom Heil der Bevormundung, von der Anleitung zum Denunziantentum, vom Umweltschutz und dem Weltuntergang, von der Inquisition der Steuersünder, vom Segen der Mitgliedschaft in der NATO, von den Vorteilen einer EU-Mitgliedschaft, sowie die Verklärung amerikanischer Hegemonie kostenlos wären.

Kein Wunder, dass in einer solchen Zeit eine Abgabe gefunden werden musste, der sich wohl noch nicht einmal mehr erblindete Taubstumme entziehen können. Niemand hat sie wohl gefordert – die Demokratieabgabe –, in keinem Wahlkampf wurde sie je thematisiert, doch sie brach über die Gesellschaft herein, wie seinerzeit der Engel des Herrn den biblischen Hirten auf dem Feld verkündet hatte: »Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren …«

Da sind Zahlungsbefehle an eine ganze Nation zur zwangsweisen Finanzierung der staatlichen Radio- und Fernsehanstalten mehr als rechtens. Natürlich rechtens. Immer rechtens. Was sonst?

Auch in der geschichtlichen Aufarbeitung leistet man Großes. Man zeigt quasi in Endlosschleifen diesen einen Adolf Hitler, bringt diesen einen oben erwähnten Satz von Goebbels und will der verdummten Bevölkerung klarmachen, dass der eine Mann und dieser Satz zu einer Schreckensherrschaft geführt hätte. Dass ohne Volkszählung und Meldepflichten keine Einwohner jüdischen Glaubens geortet und deportiert werden können, verschweigt man. Weil ja beides heute immer noch die Regel ist. Dass ohne Staatsverschuldung und Staatsbank nicht aufgerüstet werden kann, verschweigt man, weil das ja heute ebenfalls die Regel ist. Dass ohne Gräuelpropaganda über ausländische Staaten kein »gerechter Krieg« inszeniert werden kann, verschweigt man, weil man sich – seit dem oben erwähnten Tabubruch von 1999 – ständig aktiv an der Dämonisierung ausländischer Staaten beteiligt.

Und natürlich wird der Volksstaatscharakter des Dritten Reichs verschwiegen. Denn kein Machthaber dieser Welt kann derartige monströse Ziele auch nur ansatzweise verwirklichen, leistet das Volk Widerstand. Auch ein solcher ist heute natürlich verboten.

Dass die Nationalsozialisten ihre Macht dadurch festigten, indem sie genau diese »sozialen Errungenschaften« einführten, auf die sich heute das gesamte sozialfaschistische Pack immer noch stützt, wird selbstverständlich ebenfalls verschwiegen.

Dieselben Sendeanstalten verherrlichten seit 1945 ausnahmslos jeden von den USA geführten Angriffskrieg so lange, bis man dann doch irgendwann notgedrungen einräumen musste, dass der metaphysische Zauber im Namen der Freiheit in die Kategorie Lüge, Manipulation und Kriegsverbrechen fällt.

Es wird auch keine islamistische Terrorbande geben, welche von diesen staatlichen Medien nicht irgendwann einmal als Kämpfer im Namen der Freiheit glorifiziert wurde. Und so finden die Machthaber stets ihre Kindlein in der ersten Reihe, auf einem Auge blind, weil man ja bekanntlich mit einer unüberschaubaren Anzahl von nahezu gleichgeschalteten Sendeanstalten »besser sieht«.

Wo sind die Zusammenhänge? »Ich fürchte«, schrieb Friedrich Nietzsche, »wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben.« Diese Grammatik, verstanden als die Kunst, sich systematisch zu verständigen, ist Wesenszug, ja Voraussetzung jeder Unterdrückung. Der Turmbau zu Babel scheiterte bekanntlich nicht an der Tatsache, dass die Bauleiter den Konjunktiv der englischen Sprache nicht beherrschten, sondern an einer allgemeinen Sprachverwirrung. Aber er scheiterte – und zwar unblutig.

Was für eine Chance! Das Volk versteht nicht, gegen wen es sich zu »verteidigen« hätte. Die Einberufungsbefehle werden von den jungen Männern ignoriert. Die Feldjäger saufen mit dem Fahnenflüchtigen. Und ist nun doch mal jemand durch Zufall an der Front, geht er spätestens Weihnachten nach Hause.

Erst durch die Fähigkeit der Arbeitsteilung erwachsen dem Menschen Möglichkeiten, über seine Begrenzungen hinauszugehen. Je größer das Projekt, desto präziser muss die Planung erfolgen und deren Ausführung überwacht werden. Arbeitsteilung erfordert sowohl Verständigung als auch Unterordnung. Arbeitsteilung erfordert Kooperation. Wer dies nicht sofort versteht, sollte ein weitgehend unbeachtetes Tier in seiner Nachbarschaft beobachten. Nein, es sind nicht die Hunde, es sind die Spatzen, welche nicht nur als Singvögel kategorisiert sind, sondern auch als besonders gesellige und soziale Wesen gelten. Die Nahrungssuche erfolgt in Trupps von zirka 20 Tieren, weil dann die verwendete Zeit für die Sicherung am effizientesten ist. Stößt ein Mitglied nun einen Warnton aus, wäre es vollkommen sinnlos, dass die anderen in der Truppe den Grund dieser Warnung erst einmal selbst eruieren wollten. Verständigung und Unterordnung bedingen sich also.

Ohne Arbeitsteilung ist der technische Fortschritt des Menschen nicht denkbar. Die Fähigkeit der präzisen Verständigung, der Konzentration auf den übertragenen Arbeitsschritt, ohne vielleicht den Gesamtprozess überblicken zu können, macht industrielle Produktion erst sinnvoll.

Leider ist Krieg mit arbeitsteiliger Güterproduktion vergleichbar. Ein paar wesentliche Unterschiede gibt es. Krieg schafft keine Güter, sondern Zerstörung. Krieg schafft keine Werte, sondern Leid und Elend. Und jeder im industriellen Arbeitsprozess Tätige kann ohne Weiteres seine ehemalige Entscheidung revidieren und kündigen. Wäre eine solche jederzeitige Kündigung bei militärischen Auseinandersetzungen möglich, das mörderische Handwerk hätte sich schnell erledigt.

Doch genau darin ist die Grammatik der unterschiedlichen Verbrechersysteme im Einklang. Es gibt quasi eine universelle Ethik des Unmenschen, die es den Rindviechern verübelt, sich widerstandslos zur Schlachtbank führen zu lassen. Dieser Schlachthoflogik folgend (wo kämen wir denn sonst hin?) wurden auch noch nach der Kapitulation der deutschen Streitkräfte 1945 Deserteure zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die jeweiligen Gerichtsherren wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Deutschland benötigte dann auch fast 53 Jahre, nämlich bis 1998, um ehemalige Deserteure der Wehrmacht zu rehabilitieren.

Es ist beinahe schon nebensächlich, ob sich die jungen Männer und Frauen freiwillig zur Ausübung des Kriegshandwerks meldeten oder gezwungen wurden. Sicher ist die Truppe voll unangenehmer Überraschungen, eignet man sich Wissen beim Militär bekanntlich nicht über den Umweg des Denkens, sondern durch »Schleifen« an.

Der Begriff Schleifung bezeichnet das Einebnen militärischer Befestigungsanlagen des Feindes. Und da ist es nur folgerichtig, dass die zivilen Vorstellungen der frischen Rekruten von Rede und Gegenrede, von These, Antithese und Synthese, von Höflichkeit und Anstand quasi feindlich sind und erst einmal von den Vorgesetzten eingeebnet, sprich: geschleift, werden müssen.

Aber kein Zwang sollte für einen Systemtrottel fremd sein. Haben sie doch, ob unter dem Kaiser, unter dem Führer oder im heutigen Demokratismus, die staatliche Ordnung nie als aufgezwungene, ungerechtfertigte Gewaltherrschaft empfunden. Wer es als legitim betrachtet, dass die staatliche Ordnung in die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Mitbürger eingreift, den darf es nicht verwundern, richtet sich dieser Zwang eines Tages gegen die Befürworter selbst.

Ich habe bereits oben ausgeführt, wie die Schleifung außerhalb des Militärs in der sogenannten Zivilgesellschaft erfolgt. Jetzt sollte auffallen, dass Auswendiglernen und Repetieren wesentliche Elemente des Militärs sind. Auch wird dort gefressen, was andere befehlen. Rauchverbote und Sport sind elementar. Diskussionen sind überflüssig. Der Schwachkopf steht vorne und darf nicht infrage gestellt werden.

Kommen wir nun zu einem wesentlichen Teil der kriegsgrammatikalischen Lektion. Wer fremd und Feind ist, wird genauso befohlen wie die Tatsache, dass dieser Feind immer keine Kinder mag, immer Frauen misshandelt und immer Andersgläubige verstümmelt. Logisch, dass hier interveniert werden muss und das Unrecht vergolten.

Hitler hatte bekanntlich am 1. September 1939 verkündet: »Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen.« Und es wurde Bombe mit Bombe vergolten, wie das gesamte spätere Kriegsgeschehen ein einziges Vergelten sein musste, wollten die jeweiligen politischen Machthaber auf allen Seiten verdeutlichen, dass es im Sinne des Friedens, der Freiheit und der Menschlichkeit wäre, tötete und verstümmelte man die wehrlosen Kinder und Frauen des Kriegsgegners.

Nein, dieses Gemetzel war kein Versehen, weil unvermeidbare Folge der Kriegshandlung. Es war das alltägliche Morden Unschuldiger, gleichzusetzen mit dem zwangsläufigen Komma in der Grammatik, welches Appositionen und Nachstellungen vom Rest des Satzes abtrennt.

Die Kriegsparteien beherrschen die Grammatik des Krieges perfekt. Man redet vom Frieden, während man aufrüstet. Man redete von Verteidigung, während man angreift. Man redet immer von Freiheit! Und während weltweit jeder Polizist verurteilt würde, der zur Abwehr eines Aggressors zuerst einmal dessen Kinder und die seiner Nachbarn erschießt, steigen weltweit die Piloten aus ihren Militärmaschinen und sind stolz darauf, ihre Bomben und Raketen ins angeordnete Ziel transportiert zu haben.

Die Kriege, welche die unterschiedlichen Machthaber dem Volk nicht als Verteidigungskriege verständlich machen konnten, fanden erst gar nicht statt. So gesehen sind die Ansichten des Plebses moralisch einwandfrei. Ohne entsprechende Manipulationen und Lügen bekommt man die breite Masse nicht zur systematischen und organisierten Aggression überredet.

Keine Frage, Deutschland verfolgte eine aggressive menschenverachtende Expansionspolitik auf Kosten seiner östlichen Nachbarstaaten. Großbritannien hatte aufgrund seines Beistandsvertrages mit Polen, Deutschland daraufhin den Krieg erklärt.

Hatte doch gerade Großbritannien das Selbstbestimmungsrecht der Völker weltweit akzeptiert, sieht man einmal von Ägypten, dem Sudan, dem heutigen Botswana, Kenia, Somalia, Togo, Gambia, Nigeria, Sierra Leone, Kamerun, Mauritius, Malawi, Sambia, Sansibar, den Seychellen, Südafrika, Südrhodesien, Südwestafrika, St. Helena, Tansania, Tanger, Uganda, Belize, Guayana, Bahrain, Bhutan, Indien, Brunei, Ceylon, Katar, Kuwait, den Malediven, Nord-Borneo, Oman, Palästina, Singapur, Transjordanien, Helgoland, Irland, den Kanalinseln, Zypern und Malta ab. (Große Teile Nordamerikas sowie Australien und Ozeanien sind hier noch gar nicht erwähnt.)

Die meiste Zeit des Jahres, also vor und nach Weihnachten, war folglich nicht nur für die Bewohner in Afrika klar, was der Christenmensch unter Frieden verstand. Und die britische Herrenrasse ließ auch keinen Zweifel darüber aufkommen, wer hier der kulturell Überlegene ist. Die Annahme der eigenen rassischen Höherwertigkeit hatte ein verkappter Kunstmaler aus Österreich nicht erfunden, sondern weltweit vorgefunden.

Und immer war Hinz und Kunz nebst Gattinnen für die verübten Gewalttaten der staatlichen Herrschaftsapparate so wenig verantwortlich wie der deutsche Michel, welcher seinen jüdischen Nachbarn zum Bahnhof begleitete und dann von nichts wusste. Das Bedürfnis, sich einer Sippschaft anschließen zu müssen, ihren Führern zu vertrauen, führt zwangsläufig zu einer durchaus rationalen Ignoranz (Ökonomen würden vom kalkulierten Informationsverzicht sprechen).

Ich habe bereits erörtert, dass Arbeits- und Aufgabenteilung anders nicht vorstellbar sind. Der moralische Defekt tritt dort zutage, wo Mitglieder dieser Kooperative sich separieren wollen, weil sie der Führung nicht mehr trauen, die Rangordnung infrage stellen oder lediglich keine Lust mehr haben mitzumachen. Jetzt greifen die Gewaltoptionen der Machthaber. Hier ist also der »elektrische Weidezaun« gespannt, über den der »Landwirt« nicht diskutieren wird. Die von den Machthabern vorsorglich gesetzten Regeln schließen einen Austritt aus dem Machtbereich kategorisch aus. Wer sich nicht fügt, dem droht die existenzielle Vernichtung.

Die Grammatik des Krieges, des organisierten Massenmordes, der Unterdrückung und Knechtschaft folgt seit jeher den gleichen Regeln.

1. Die Identifikation des Plebses unter Konzepten wie Volk, Rasse und oder Religion.

2. Die Vorstellung, dass Gefolgschaft und Treue den individuellen Nutzen mehren.

3. Indoktrination und Mobilisierung der Jugend.

4. Verbot von Sezessionsbestrebungen.

5. Kollektiver Aufbau von Bedrohungs- und Benachteiligungszuständen.

6. Legitimation der jeweiligen Politik durch das vom Staat bezahlte akademische Gesindel.

7. Aufrüstung.

8. Förderung diverser Machttrivialitäten.

9. Zensur der Berichterstattung.

Aber eigentlich sollte dieser Artikel eine Weihnachtsbotschaft werden. Wie bekomme ich nun die Kurve? Fällt in die Zeit des Krieges das Weihnachtsfest, einigen sich die Befehlshaber der Kriegsparteien auf eine Feuerpause. Diese sogenannten Arms-Control-Maßnahmen dienen dann nicht nur dazu, die verstümmelten Leichen der eigenen Truppe vom Felde zu bergen, sondern ermöglichen den verführten und angelogenen Dumpfbacken beider Seiten, den Weihnachtsliedern der Gegenseite zu lauschen. Wenn nicht gerade einer der Helden in die Hose geschissen hat, weil Heldenblut bekanntlich braun ist, schwant auch aus dem nahe gelegenen Offizierscasino noch der Duft von Gebratenem herüber.

Ja, im Kessel von Stalingrad war das 1942 auch so. Während draußen im Feld die Soldaten vor Hunger ihre toten Kammeraden aufschlitzten, um deren Innereien zu essen, gab es im Bunker von General Paulus noch leckeres Essen und ein Gläschen feinsten Cognacs.

Nachdem der feine Herr Generalfeldmarschall sich dann den Russen ergab und dabei völlig »vergessen« hatte, den versprengten deutschen Armeeeinheiten das Ende der Kampfhandlungen anzuordnen, kämpften diese bis Anfang März 1943 dumm weiter. Während der Herr Generalfeldmarschall wohlbehalten nach Kriegsende in seine Heimat zurückkehrte, kamen von 110.000 deutschen Kriegsgefangenen lediglich 6.000 zurück.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, werden diese Zahlenverhältnisse bekannt sein. Was nun regelmäßig in der Berichterstattung fehlt, ist die Tatsache, dass etwa 600.000 russische Soldaten allein bei dieser Schlacht gefallen waren. Die Stadt selbst hatte jedoch damals lediglich etwa 450.000 Einwohner.

Vielleicht geben diese Tatsachen auch dem letzten Systemtrottel zu denken. Wird ihm doch täglich erzählt, dass Staaten zur Verteidigung des Vaterlandes notwendig sind. In Wirklichkeit geht es den Machthabern – ob im Demokratismus oder im Stalinismus ist dabei einerlei – lediglich um die Erhaltung und mögliche Erweiterung ihres Herrschaftsbereiches. Die Einwohner einer Stadt sind einer Herrscherclique so einerlei wie einer Katze die Qualen einer Maus.

Der amerikanische Präsident Truman ließ durch den Befehl des Abwurfs von Atombomben über 200.000 Zivilisten töten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Stalin bereits über acht Millionen Menschen verhungern und in der Zeit der »großen Säuberung« nochmals 1,5 Millionen Menschen liquidieren lassen. Was allerdings den Demokraten Roosevelt nicht davon abhielt, mit diesem Herrn freundschaftlich und gedeihlich zu alliieren. Und da nun die späteren US-Präsidenten planten, einen militärischen Konflikt mit der Sowjetunion, gegebenenfalls auf europäischen Boden, atomar zu entscheiden, erübrigt sich jede weitere Erörterung des Wertes von Menschenleben und Stadtbewohnern für Machthaber jeder Couleur.

Das obige Missverhältnis zwischen Einsatz und vorgegebenem Ziel ist nur dadurch zu erklären, dass das Symbol des Ziels für den Machterhalt entscheidend war und die eingesetzten Mittel (tote Soldaten) in der Bilanzierung nicht ins Gewicht fielen.

Tolstoi hat dieses Phänomen am Beispiel des Bauern Pachom bereits 1885 verdeutlicht.[4] Die potenzielle Habgier der meisten Menschen begrenzt sich nur an ihrer eigenen Sterblichkeit.

Wenn wir nun selbst derart verabscheuungswürdige Eigenschaften bei unserer introspektivischen Nabelschau nicht finden können, so kann es daran liegen, dass wir vielleicht aus der Art geschlagen sind. Vielleicht sind wir auch derart intelligent, dass wir uns in die potenziellen Opfer unserer Machtambitionen hineinversetzen können – und Mitleid empfinden. Am wahrscheinlichsten aber ist, dass uns zu keinem Zeitpunkt diese Macht verliehen wurde, sodass wir sie in Herrschaft umwandeln konnten. (Und deshalb können wir weiter davon träumen, wir wären ein guter Herrscher.)

Wäre diese Herrschaft nämlich gesichert, arbeiteten wir mit Mitteln, welche uns allesamt wesensgleich sind – nämlich mit Menschen. Wir werden es deshalb vermeiden, die Faszination unserer Macht durch nasales Durchatmen infrage zu stellen, wenn es diesen »Mitbürgern« oder »Genossen« das Gedärm zerfetzt. Wir wären dann weit weg vom Leid der Unterdrückung, vom Elend der Gefolgschaft und vom Geruch des Todes. All unser Denken wäre bestimmt von Zweckmäßigkeitsüberlegungen. Würden wir uns nicht täglich Gedanken darüber machen, wie wir unsere Konkurrenten mit ihren Herrschaftsambitionen besänftigen oder eliminieren könnten, würden wir den ersten Sonnenuntergang erst gar nicht erleben.

Dann gälte es, möglichst viele der Beherrschten in unseren Herrschaftsapparat miteinzubinden. Da alle unsere Maßnahmen nie vollumfänglichen Erfolg garantierten, würden wir uns um die Kindergärten, die Schulen und Universitäten bemühen. Und letztendlich würden wir auch das schrecklichste Ereignis dazu missbrauchen, unsere Herrschaft zu sichern und unseren Machtbereich auszubauen.

Die in unserem Machtbereich befindlichen Personen sind deshalb auf eine einzige Funktion reduziert: Sie sind polarkomplementärer Gegensatz unserer Zielsetzung. Wie ein Schwimmer das Wasser benötigt, aber dieses auch seinen sicheren Tod bedeuten kann, benötigen wir die Menschen und dann ihre Gefolgschaft. Jede Person in unserer Nähe kann uns gefährlich werden, aber auch jede Person kann uns in unserer Zielsetzung unterstützen und diente sie nur als Kanonenfutter. In dieser Spannungseinheit wird Führerschaft/Gefolgschaft erlebt und gelebt.

Ohne moralische Defekte ist unsere Führerschaft folglich fragil. Täglich entscheiden sich die uns folgenden Menschen neu, ob sie dies in Zukunft auch tun wollen. Wir kennen das alle aus kooperativen Beziehungen des Alltags. Gestern war der Fußballtrainer noch der große Star, nach dem verlorenen Spiel jagt man ihn in die Wüste. Heute sind alle noch bereit, für eine gute Sache Geld zu spenden, morgen kommen die ersten mit irgendwelchen Ausreden. Der größte Konzern kommt vielleicht übermorgen bereits in eine existenzielle Krise, weil der Markt einbricht und er die Leute nicht zwingen kann, seine Produkte zu kaufen.

Es liegt also nahe, diese Unsicherheit, diese Fragilität der Gefolgschaft gewaltsam zu überbrücken, indem wir einen Austritt aus der Gefolgschaft untersagen. Jetzt ist die Kooperation wohl ethisch defekt, doch bis es die Leute erkennen, haben wir den größten Teil der Massen davon überzeugt, dass sie von unserer Herrschaft profitieren, dass alles einem höheren – von ihnen nicht recht verstandenen – Zweck diene, dass man einig sei, dass es sich für sie nicht lohne, Widerstand zu riskieren.

Der Demokratismus ist eine moderne Form der Staatsführung. Er funktioniert nur, wenn potenzielle Konkurrenten davon überzeugt werden können, dass sie eine faire Chance hätten, an der Macht teilzuhaben. Ferner muss die große Masse der Bevölkerung dazu gebracht werden, ihre kulturelle Verortung zugunsten einer größeren, übergeordneten Zugehörigkeit zurückzustellen. Gelingt dies nicht, weil sich bestimmte Volksgruppen, Glaubensgemeinschaften, Standeszugehörige oder soziale Gruppen »schon immer« von und durch die anderen benachteiligt sahen, erscheinen die Regeln des Demokratismus als durchsichtiges Manöver der Unterdrückung und werden entweder sofort missbraucht oder erst gar nicht akzeptiert.

Sozialistische, faschistische, theokratische oder monarchistische Systeme funktionieren nach dem gleichen Muster, obwohl sie aus der Perspektive eines heutigen Deutschen allesamt als Diktaturen erscheinen mögen. Niemand auf dieser Welt kann seine Herrschaft dauerhaft auf die Macht einer Soldateska stützen. Alle haben ihre Macht in der Spannungseinheit des beschriebenen polarkomplementären Gegensatzes zwischen Herrscher und Beherrschtem.

Auch die Herrschaft Stalins oder Hitlers war zu keinem Zeitpunkt gesichert. Nur die Hoffnung der Tiere im Schlachthaus reduziert sich auf die Unwahrscheinlichkeit, dass sich die Schlächter selbst massakrieren oder von ihrem Tun ablassen. Jeder Machthaber ist stets auf das Wohlwollen seiner Herrscherclique angewiesen. Und wenn nicht, dann zumindest auf die Gunst seiner Leibwächter, welche jeder noch so hoffnungsvollen Führerkarriere ein Ende machen könnten. Letzteres ist in der Geschichte die seltene Ausnahme. Zu gut funktionieren die Mechanismen des Machterhalts.

Bereits den sogenannten Eid – eine banale Bekundung, welche sich von der, dass im Himmel Jahrmarkt wäre, prinzipiell nicht unterscheidet – empfindet die Mehrheit der Menschen als eine Art Selbstverfluchung.

Ich möchte hier am Schluss dieses Artikels nicht noch satirisch werden, doch verliert man den Glauben an die Zukunft. Zuerst verorten sich die Menschen in einer gespenstischen Sippschaft, welche geografisch so willkürlich ist wie sprachlich oder religiös. Dann ordnen sie sich einer Führung unter, deren einziges unbezweifelbares Merkmal ihr Gewaltpotenzial ist. Diese Unterordnung – das wissen sie – kann nur mit dem Risiko der eigenen existenziellen Vernichtung revidiert werden. Danach verdingt man sich gegen ein gewisses Salär diesen Machthabern. Doch diese verlangen, man möchte im Namen Gottes schwören, stets den Zielen der Machthaber und der gesamten Sippschaft zu dienen. Es ist wohl wie im Kindergarten (huch, ich bin der Osterhase), doch ich habe nichts dagegen, dass erwachsene Menschen zwei Finger in die Luft halten.

Ich zweifle jedoch an der Kreatur dieses Homo sapiens, der nun auch noch glaubt, dass dieses abgedungene eigene Geschwätz so etwas wie einen Fluch auslösen könnte, hält man sich nicht mehr daran.

Genug der Perversionen. Der amerikanische Präsident Roosevelt hat von seiner Macht und seinen Weltbeherrschungsfantasien trotz fortschreitender Krankheit nichts abgegeben. Seine letzte Tätigkeit hatte darin bestanden, sich für eine Porträtmalerin in Pose zu setzen.

Winston Churchill, ein entschiedener Verfechter des britischen Kolonialismus und zweifelhafter Kriegsstratege, wurde 1951 wiedergewählt. Der von ihm in Kenia militärisch niedergeschlagene Mau-Mau-Aufstand forderte nach neusten Schätzungen zwischen 20.000 und 100.000 Tote aufseiten der Aufständischen. 1,5 Millionen Menschen – nahezu die gesamte als »nicht-loyal« klassifizierte Bevölkerung – wurde interniert. Wie es ihm opportun erschien, wechselte er die politischen Lager. Nach mehreren Schlaganfällen wurde er von seiner eigenen Partei 1955 zum Rücktritt gedrängt. Bis 1959 ließ er sich nochmals ins Unterhaus wählen. Danach lebte er zurückgezogen bis 1965 und starb dann im Alter von 91 Jahren.

Josef Stalin hatte die Unterdrückung und den Terror nicht erfunden, nur perfektioniert. Da er den Krieg gegen Deutschland gewann und mit Billigung der Westalliierten halb Europa dazu, wird er heute immer noch von etwa 30 % der Russen als positiv bewertet.

Am 5. März 1953 starb er offiziell. Davor lag er noch eine Nacht und einen Tag auf dem Fußboden herum. Als ein Bediensteter sich endlich getraut hatte, das Zimmer zu betreten, verlor er das Bewusstsein. Lawrenti Beria, einer seiner Schlächter, ordnete bald darauf die Entstalinisierung an, begann Häftlinge freizulassen und verbot die Folter. Hatte nichts genutzt, denn der Rest der Clique ließ ihn noch im selben Jahr verurteilen und liquidieren. Behauptet hatte Beria, er hätte Stalin vergiftet.

Adolf Hitler hatte die große Sorge, dass er den Russen lebend in die Hände falle und ihn Stalin im Moskauer Panoptikum ausstellen würde. Im April 1945 begann sich langsam, aber sicher die Ordnung im Führerbunker aufzulösen. Bezeichnend war, dass das Rauchverbot nicht mehr beachtet wurde. Hatte doch der Führer seine Gäste seit mehr als zehn Jahren darüber belehrt, wie schädlich das Tabakrauchen, wie verwerflich die Jagd sei und wie heimtückisch die Juden wären.

Wie dem auch sei. Einer seiner letzten militärischen Befehlshaber im Führerbunker war General Wilhelm Burgdorf. Bevor er sich erschoss, besoff er sich noch mal kräftig und schimpfte: »Vor einem dreiviertel Jahr bin ich mit meiner ganzen Kraft und mit grenzenlosem Idealismus an meine jetzige Aufgabe herangegangen …« Er sei so weit gegangen, dass ihm schließlich seine Offizierskameraden vorgeworfen hätten, Verräter am deutschen Offiziersstand zu sein. Jetzt müsse er einsehen, dass seine Arbeit umsonst, sein Idealismus falsch und dass er naiv und dumm gewesen sei.

»Einmal muss es doch alles gesagt werden«, so der General weiter. »Vielleicht ist es in 48 Stunden schon zu spät. Unsere jungen Offiziere sind zu Hunderttausenden in den Tod gegangen. Aber wofür denn? Für ihr Vaterland, für unsere Größe und Zukunft? Für ein anständiges, sauberes Deutschland? In ihrem Herzen ja, aber sonst nein. Für euch sind sie gestorben!« Millionen von unschuldigen Menschen seien geopfert worden, während die Führer der Partei sich am Volksvermögen bereichert und im Überfluss geschwelgt hätten. »Der Mensch war für euch nur noch das Werkzeug eurer unersättlichen Machtgier. Unsere jahrhundertealte Kultur, das deutsche Volk habt ihr vernichtet. Das ist eure furchtbare Schuld!«

Am Vormittag des 30. April 1945 sollte nun Hitlers Chauffeur Kempka 200 Liter Benzin besorgen. Kempka hielt das zuerst für einen Witz, denn Benzin könne man erst besorgen, wenn das Artilleriefeuer der Russen nachließe. Gegen 15.30 Uhr hatte er dann doch etwa 170 Liter Benzin zusammengetragen und Hitler hatte sich mit seiner kurz zuvor geheirateten Frau erschossen. Man trug die beiden Leichname nach oben und legte sie in eine Mulde …[5]

In dem ausgezeichneten Film von Helmut Dietl »Schtonk« wurde diese Szene in die Nacht verlegt und persifliert.

Während ringsherum Granaten einschlagen, versucht ein Soldat, mit einem Streichholz des Führers Schnürsenkel anzuzünden. Nach dem zweiten missglückten Versuch steht er entnervt auf und rennt in gebückter Haltung zu einem SS-Obersturmbannführer, der sich, auf einem Hügel stehend, eben gerade seiner Uniform entledigt.

»Melde gehorsamst – er brennt nicht!«

Der SS-Scherge blickt sich nervös um: » Was? Wer brennt nicht?«

»Der Führer, Herr Obersturmbannführer. Und die Frau Braun, die Frau Führer, Herr Obsturmbannführer.«

»Na, dann schütten Sie Benzin drüber. Dann brennen die schon.«

»Benzin? Über den Führer?«

»Es gibt keinen Führer mehr, Sie Ignorant«, schimpft der SS-Mann und macht sich dran, die Benzinkanister zu öffnen.

Soweit der Filmausschnitt. Tatsächlich konnten die Leichname nicht vollständig verbrannt werden, weil das meiste Benzin wohl im Erdreich versickerte, anstatt die ihm zugewiesene Aufgabe zu erfüllen.

Einen Führer aber kann man nicht verbrennen …

Dieses Mysterium von Leid, Blut, Sterben und Tod verbirgt sich im menschlichen Aberglauben, dass die vom Staat aufgezwungene Ordnung wohl verbesserungswürdig wäre, doch insgesamt notwendig, quasi heilig ist.


* * *


[1] Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2013.

[2] Die schweren Waffen, welche der Islamische Staat (IS) besitzt, haben die Herrschaften nicht durch den Handel mit Kameldung. »Die Vereinigten Staaten sind Mitspieler in diesem Spiel der Stammes- und Religionskriege. 40 Länder haben sich gegen den IS verbündet, dennoch passieren dessen Waffen die Türkei. 40 Länder schaffen es nicht, einen sogenannten Islamischen Staat zu schlagen«, so der arabische Schriftsteller Adonis in der Zeitschrift DIE  ZEIT (51/2014). Und analysiert sodann: »Und warum nicht? Weil sie gar kein Interesse daran haben. Das ist alles nur Theater.«

[3] Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass eine gewisse Anzahl von sogenannten Sozialhilfeempfängern gar keine wären, zwänge sie der Staat nicht in diese Kategorie hinein. Mit etwa 400 Euro pro Monat kann man – bescheiden – aber ohne Weiteres auskommen, ohne staatliche Hilfe zu beanspruchen. Es funktioniert deshalb nicht, weil man dann sofort von der Krankenversicherungspflicht und der Rundfunkzwangsabgabe eingeholt wird. Bezahlte man diese Zwangsabgaben, kann man nur noch verhungern. Freigestellt wird man jedoch nur, wenn man sich arbeitslos meldet. Wer sich jedoch arbeitslos meldet, dem ist die Möglichkeit, mit 400 Euro irgendwie zu überleben, genommen. Denn man wird ihm nachstellen, ihn zu sogenannten Fortbildungsmaßnahmen nötigen und ihn zwingen, Bewerbungen zu schreiben.

[4] Lew Nikolajewitsch Tolstoi: Wieviel Erde braucht der Mensch? (1885)

[5] Zitat Burgdorf und Daten Kempka aus: John Toland: Adolf Hitler. Bd. 2. Bergisch Gladbach 1977

 

 

 
Erstellt am 30.12.2014, zuletzt aktualisiert am 14.07.2023. Alle Rechte vorbehalten.  
 

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