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Libertäre Rundschau

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Karola Tembrins:

Stefan Blankertz, die libertäre »Literatte«

Literatte

Wie links spielt die Musik? Literatur und Kunst stehen links, das steht fest wie das Amen in der Kirche. Ayn Rand wird literarisch so wenig wie philosophisch ernst genommen, die Szene der us-amerikanischen libertären Science-Fiction-Autoren erst (un)recht nicht. Zwar ließ es sich schließlich nicht vermeiden, Mario Vargas Llosa den Literaturnobelpreis zu geben, aber seit sein liberales Engagement unverkennbar geworden ist, hat zumindest die bundesdeutsche Literaturszene weitest möglichen Abstand gesucht. Denn »links« bedeutet in Deutschland und leider auch weltweit heute vor allem, dem Staatlichkeitswahn keinen Widerstand entgegen zu setzen.

Den Begriff »Staatlichkeitswahn« hat Stefan Blankertz als Titel einer seiner ersten Veröffentlichungen 1980 geprägt; ich nehme an, dass die Anspielung auf den damals noch populären Begriff des »Männlichkeits- (oder Weiblichkeits-) Wahns« nicht zufällig entstanden ist. Seitdem gilt er als »Deutschlands dienstältester Anarchokapitalist« (André F. Lichtschlag). Während seine Anarcho-Kumpel aus den 1970er Jahren – von 1970 bis 1977 produzierte Stefan Blankertz als Schüler die »Neue Viehzucht«, das »Anarchoblatt aus Münster« – inzwischen, wenn sie sich überhaupt noch an ihre alten Ideale erinnern, auf jeden Fall jede Ausprägung von Staatlichkeitswahn, sei es im bürokratischen Wohlfahrtsstaat, sei es in kriegerischen Friedensmissionen, dem bösen (Finanz-) Kapitalismus vorziehen, setzt er weiter auf Proudhons ursprüngliche anarchistische Diktion, dass dem Staat einzig das Eigentum Paroli bieten könne. Aber dass sie mit Stefan Blankertz nicht nur einen wichtigen Philosophen, sondern auch einen kreativen Schriftsteller zu den ihren zählen kann, ist der deutschsprachigen libertären Szene anscheinend nicht so bewusst. Als jemand, der sich nur sporadisch in Deutschland aufhält, fällt es mir um so mehr ins Auge, dass zwar nach wie vor über die Linkslastigkeit der Kunst geklagt wird, aber man das literarische Werk von Stefan Blankertz wie von einem anderen Autor behandelt, der nichts mit dem Libertären zu schaffen habe.

Münster 1974, im Hort der Maoisten

Über seinen Werdegang zum Anarchokapitalisten inmitten einer linken, ja maoistischen Umwelt berichtet Stefan Blankertz, der »Wortmetz«, wie er sich in Anlehnung an Arno Schmidt heute nennt, in seinem Roman »Die Literatte« (Berlin 2011: Holzinger Verlag). Der Roman sei »semi-autobiografisch« – »Dieser Roman spielt 1974. Obschon in die Zeitgeschichte eingebettet, sind die Handlungen erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, einschließlich mir selbst, wären zufällig.« –, sagt der Autor im Sinne von Mario Vargas Llosa, den er vorab zitiert: »Wir fantasieren und träumen gerade das, was wir nicht leben, eben weil wir es nicht leben, aber gern leben würden. Deshalb denken wir uns ein anderes Leben aus; um in seinen Lügen zu leben, seinen verführerischen Trugbildern. Doch dieses andere Leben, das uns seit den Anfängen der Menschheitsgeschichte begleitet, ist nicht unser treues Abbild, sondern ein magischer Spiegel, der das hinter der äußeren Erscheinung verborgene Leben erfasst, unsere Instinkte, Gelüste und Sehnsüchte, unsere Ängste und Phobien, die Gespenster, die uns bewohnen. All das sind wir auch, aber wir vertuschen und leugnen es in unserem offiziellen Leben, opfern es wie so vieles, um unser Zusammenleben möglich zu machen.« Andererseits schreibt Stefan Blankertz auf seiner Homepage (www.stefanblankertz.de), dass er beim Schreiben des Buches Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit benutzt hat. Auch ein Schulkamerad von einst, PD Dr. Uwe Wolff, erkennt die Szenerie wieder; auf amazon.de schreibt er am 30. Mai 2013: »Stefan Blankertz gehörte wie Götz Alsmann zu jenen Schülern des Münsteraner Schlaungymnasiums, deren Name einst bekannt werden sollte. In diesem Roman erzählt der Sohn des bedeutenden Pädagogen Herwig Blankertz von unserer gemeinsamen Schulzeit Anfang der Siebziger Jahre. Wer wissen will, wie es damals an deutschen Schulen zuging, der lese: ›Die Literatte‹!«

Auf die Frage, wie autobiografisch »Die Literatte« sei, antwortet der Autor: »Der Roman enthält viele echte – und manche gefakte – literarische Bruchstücke von mir aus Mitte und Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Das heißt, es handelt sich um schon damals fiktionalisierte Erfahrung. So nannte mir letztens erst ein Mitschüler, der sich zufällig gerade bei mir gemeldet hat, den echten Namen der Philosophielehrerin, unserem Schwarm. Ich hatte sie nur noch unter dem Pseudonym in Erinnerung. Aber die Schulerinnerungen, besonders die Stundenprotokolle, sind schon sehr dicht an dem unmittelbar damals Erlebten. Nach Abschluss der Arbeit an ›Die Literatte‹ habe ich die Aufzeichnungen von damals vernichtet, sodass es selbst für mich immer schwerer wird, genau auseinander zu halten, was authentisch aus der damaligen Zeit stammt und was neu ist. Das ist Absicht. Allerdings habe ich die meisten wörtlichen Reden ziemlich unverändert aus den alten Unterlagen entnommen, ganz einfach darum, weil ich dann sicher sein konnte, dass ich keine Worte und Wendungen verwende, die aus der heutigen Umgangs- und Jugendsprache stammen.«

Wie man »Literatte« wird

Beim Umzug fallen Thomas Prawon das zerrissene Foto einer jungen Frau und ein Stapel mit alten Notizen in die Hände. Statt weiter zu packen, taucht er ein in die Erinnerung an seine 35 Jahre zurückliegende Schulzeit: Lehrer, Eltern, Klassenkameraden und, allen voran, Mädchen nahmen ihn nicht ernst. Widerstand gegen öden Unterricht, politische Auseinandersetzungen und die Erfolglosigkeit bei der Suche nach einer Freundin bestimmen den Alltag.

Der Schriftsteller Thomas Prawon, dem Mitschüler den Spitznamen »Literatte« anhängten, gewährt uns Einblicke in seine Schulzeit. Tagebuchartige Aufzeichnungen, Unterrichtsprotokolle und erste literarische Versuche schlachtet er aus, um für seinen weiteren Lebensweg entscheidende Tage im Sommer und Herbst 1974 zu beschreiben.

Während Thomas die Welt des Geistes entdeckt, indem er literarische und philosophische Bücher verschlingt, würgt ihn die Langeweile des Lehrstoffes. Einzige Ausnahme bildet eine ebenso attraktive wie kluge Philosophielehrerin. Sie wird von ihm nicht weniger als von seinen Freunden Werner und Stefan angehimmelt.

In einem nächtlichen Gespräch konfrontiert Thomas’ Vater ihm bei viel Rotwein damit, dass sein kriegsvermisster Großvater ein überzeugter Nationalsozialist gewesen sei. Der Suchdienst des Roten Kreuzes hat den Fall offiziell gerade erst abgeschlossen und mitgeteilt, aller Wahrscheinlichkeit sei er in den letzten Tagen des Krieges »gefallen«. Thomas’ Vater hat dagegen Gründe, um von einem Selbstmord auszugehen. Seine Erschütterung und Verstörung zeigt Thomas nicht, beschließt aber, die Biografie seines Großvaters irgendwie literarisch zu verwerten.

Um die Schulzeit kurzweiliger zu gestalten, hecken Thomas und sein Freund Werner eine Kriminalgeschichte aus, mit der sie sich am philosophischen Thema von Schuld abarbeiten. Werners Eltern spielen eine tragende Rolle. Fakten und Fiktionen beginnen, sich zu vermischen, als Werners Mutter, in der Kriminalgeschichte der Spionage für die DDR verdächtigt, einen Unfall hat.

Wegen eines Missverständnisses um Werners Freundin kommt es zum Zerwürfnis. Thomas ist so verzweifelt, dass er sogar an Selbstmord denkt. Aus seiner Depression rettet Thomas, dass er die zehn Jahre ältere Marie Luise trifft, in die er sich verliebt. Um sie zu beeindrucken, widmet er ihr eine für Werbungszwecke allerdings ungeeignete Kurzgeschichte. Zum Glück für ihn liest sie den Text nicht und dem ersten Liebesakt steht nichts im Wege. Allerdings beobachtet sich Thomas mehr, als dass er dabei ist.

Experimentelle Form und libertärer Inhalt

Der Stil des Romans ist den Zeitumständen entsprechend angelehnt an experimentelle Schriftsteller wie Arno Schmidt, Gerd Jonke und Peter Handke. Das Schriftbild des Romans enthält für die verschiedenen Zeitebenen und die verschiedenen inhaltlichen Aussagen unterschiedliche Fonds: Für Aufzeichnungen aus dem Jahr der Handlung etwa einen Fond, der an eine alte, mechanische Schreibmaschine mit nichtproportinaler Schrift erinnert. Für die an Arno Schmidt angelehnten Sprachspiele, die dieser mit halbzeiligen Hoch- bzw. Tiefstellen erreicht, verwendet der Autor Klammern, Schrägstriche oder Buchstaben in grau (aufgerastert).

Ulrich Wille, der dem libertären Schaffen von Stefan Blankertz zwar nahe, seinem literarischen jedoch eher reserviert gegenüber steht, goutiert in »eigentümlich frei« ausdrücklich den Stil der »Literatte«: »Es entsteht das Bild einer unruhigen Zeit, die auch Leser, die wie der Rezensent damals noch Kinder waren, als authentisch empfinden werden.  Ein erster Blick in das Buch reicht aus, um festzustellen, daß es sich um sprachexperimentelle Literatur handelt. Der Autor arbeitet mit verschiedenen Schriftarten, Einschüben in Klammern und Fußnoten als Stilmitteln und schafft so einen Text, in dem verschiedene Zeitebenen in- und gegeneinanderlaufen und Aussagen oft unmittelbar nach ihrer Tätigung in Frage gestellt werden. Das wirkt manchmal albern, meist aber witzig und erhellend. Entsprechend ist die ›Literatte‹ nur denjenigen Lesern zu empfehlen, die bereit sind, sich auf derartige sprachspielerische ›Zettelkastenliterattour‹ à la Arno Schmidt einzulassen. Der erste Gedanke, der, es sei hier zugegeben, den Rezensenten durchzuckte, als er das Buch zum ersten Mal aufschlug, daß nämlich solche Sprachspiele geeignet sind, über sprachliche Unzulänglichkeiten, wie sie in des Autors Romandebüt ›Die Konkubine des Erzbischofs‹ (2001) festzustellen waren, hinwegzutäuschen, erwies sich bei näherer Lektüre als völlig haltlos. Es ist zu hoffen, daß wir in Zukunft weitere literarische Ergüsse nicht nur von Blankertz, sondern auch von Prawon zu Gesicht bekommen.«

Die Verbindung zwischen Stil und libertärem Inhalt stellt Reinhard Stiebler heraus: »Was für eine Erleichterung, mal wieder etwas Arno-Schmidt-inspiriertes zu lesen. Ich hatte großes Vergnügen mit dem Buch, weil es so schön viele Facetten zeigt: Deine (reale oder imaginierte) Biographie; die Sprachspiele; die Ebenen der Ver-literArisierung von Erlebnissen; so daß Erlebtes und Erzähltes ineinander übergehen; eine wunderschön atemlose Liebesszene (die ich sehr gut nachvollziehen konnte); die politische Kritik an der Schule und anderen Kollektivismen und die überzeugende Argumentation für die Auflösung von Kollektivismen (in der Aporie, in die die Vermutungen über die Ursache des Todes des Großvaters führen) und eine ›agonistische‹ Gesellschaft, die aus sich aneinander reibenden Gruppen (chemisch: Konvektionszonen) bestehen: die Reibung wird damit treibender Motor von gesellschaftlichen Veränderungen.«


Besprochens Buch: Stephan Blankertz: "Die Literatte", Holzinger-Verlag, ISBN-13: 978-3-926396-74-7; 12,00 Euro

 
Erstellt am 12.06.2013, zuletzt aktualisiert am 30.12.15, Alle Rechte vorbehalten.  
 

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