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Kurt Kowalsky: Eigentum und Recht und Freiheit
Abstract In dieser Abhandlung wird zwischen moralisch gerechtfertigtem Tun und dem Agieren unter gesetztem Recht am Beispiel des sog. Diebstahls differenziert. Zueignung als wesentlicher Bestandteil menschlicher Interaktion ist das materielle Phänomen eines argumentativ herbeigeführten Konsens innerhalb einer gegebenen Ordnung. Dabei entsteht diese Ordnung aufgrund der Zueignungshandlung, muss also weder gesetzt noch explizit vereinbart werden. Die Handlung selbst charakterisiert sich als egozentrisches Nutzenkalkül. Wäre das anders, wäre Zueignung irrational. Bei der Rechtfertigung einer Zueignung (gesehen als Konklusion einer Handlung) zeigt sich, ob sie zu ihren eigenen Prämissen im performativen Widerspruch steht. Erst dann ist sie moralisch ungerechtfertigt. * * * Wer sich an die biblische Geschichte mit Adam und Eva erinnert, wird wissen, dass Eva einen »Apfel«[1] geklaut hat, den der »liebe« Gott ausdrücklich nicht sozialisiert hatte. Die Folgen sind bekannt. Der biblische Gott war plötzlich gar nicht mehr lieb, sondern vertrieb die Diebe, verfluchte sie und befahl für die Zukunft u. a. apodiktisch: »Du sollst nicht stehlen.«[2] Die Perspektive von Adam und Eva braucht uns nicht zu interessieren. Die Lehre (die Metapher der Bibel) wird erst im Nachhinein klar: Befolgt ihr, ohne zu hinterfragen, die Anordnungen der Obrigkeit, werdet ihr im Paradies leben können. Verstoßt ihr dagegen, so macht die Obrigkeit euch das Leben zur Hölle. Es ging somit auch um die Rechtfertigung von Willkür. Der vernunftbegabte Mensch soll weder an Gottes unergründlichem Ratschluss noch an die Maßnahmen des weltlichen Gesetzgebers Verstand anlegen. Denn eingesetzter Verstand ist für Aberglauben und Staatsherrschaft gleichermaßen existenziell gefährlich. Derartige Strukturen haben System und gelten bis in unsere Tage fort. Wer die geschriebenen Regeln des Steuer- und Abgabenrechts einhält und gleichzeitig zu ahnen vermag, wie ein selbstherrlicher Betriebsprüfer[3] der Finanzverwaltung die komplizierten Gesetze und Vorschriften auslegt, kann im sog. Sozialstaat leben. Wer dagegen verstößt, dem wird das Leben zur Hölle gemacht. Denn auch sog. Rechtsstaaten schließen die existenzielle Vernichtung einzelner Subjekte nicht aus.[4] Das medial viel gerühmte Rechtsstaatsprinzip besagt nämlich nur, dass sich die Subjekte der Gesetzgebung und der Verwaltung ebenfalls an die geltenden Regeln zu halten haben, sofern es keine speziellen, für diese Personen geschriebenen Ausnahmetatbestände gibt. Doch die gibt es vielfach, sind aber in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Die Prüfung apodiktischer Aussagen ist in der Regel durch ihre Verkehrung möglich.[5] Die Order »Du sollst stehlen« könnte deshalb unmöglich wahr sein. In Wirklichkeit erreicht man mit einer Verkehrung noch nicht einmal einen Hinweis darauf, ob eine der beiden Aussagen falsch ist. Ein Gebot zum Beispiel wie »Du sollst am Freitag keinen Fisch essen« ist genauso willkürlich wie sein Gegenteil »Du sollst am Freitag Fisch essen.« Die Prüfung von Aussagen des apodiktischen Rechts (sic) haben nämlich weder etwas mit Logik noch mit Vernunft zu tun. Sie sind Ausdruck der Gewaltfantasien derjenigen, die diese Gebote setzen und ein Verstoß dagegen sanktionieren. Das heißt natürlich nicht notwendigerweise, dass derartige Aussagen nicht auch »moralisch gerechtfertigt« sein können. Nun ist der Begriff Stehlen bereits die Bewertung des Handelns. Die Bibel setzt also voraus, dass die Rechtsnehmer bereits wissen, welches Handeln als Diebstahl anzusehen ist. In § 242 (1) des deutschen Strafgesetzbuches heißt es zu diesem Thema: »Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Das vom Staat gesetzte Recht ist konditional. Es verfährt nach dem Grundsatz »Wenn-dann«. Obige Norm definiert jedoch den Tatbestand nicht, weil »Zueignung« mit dem Attribut »rechtswidrig« versehen wurde. In welchen Fällen man »rechtens« sich Sachen von Fremden zueignen kann, entscheidet sich wohl erst nach dem Studium von Hunderten Gesetzen, Vorschriften und Urteilen. Steht aber ein begrifflicher Inhalt (hier das Wort rechtswidrig) nicht gemeinsam fest oder ist beliebig interpretierbar oder liegt im Unbestimmten (z. B.: A bestimmt B, einen Mantel zu kaufen, der seiner Frau gefällt, aber B kennt weder As Frau noch kann er sie befragen), ist sowohl eine Vereinbarung als auch ein Diktat in erster Annäherung sinnlos, innerhalb von Machtverhältnissen aber Ausdruck von Willkür.[6] Da Recht in diesem Sinne von einem Dritten (hier dem Staat) formuliert wird, schwebt der nun quasi über jeder vollzogenen Handlung der Betroffenen. Schlimmer noch, er ist kein Schiedsrichter im Sinne eines Unparteiischen, sondern entscheidet auch in allen Angelegenheiten, in die er selbst verstrickt ist. Intelligente Machthaber bestechen oder nötigen jedoch nicht ihre Richter, sondern formulieren solange die Gesetzestexte um, bis die darauf erfolgte Rechtssprechung ihnen genehm ist. Kein Wunder, dass Steuereintreibung für »rechtens« erklärt ist [7] und dass sich der Staat das »Recht« eingeräumt hat, jede Transaktion zwischen den Wirtschaftssubjekten zu überwachen.[8] Auch Hinrichtung ist Ansichtssache Wären es aber moralische Maßstäbe, die entscheiden, welche Zueignungen im Sinne eines richtigen Handelns gerechtfertigt sind und welche nicht, sollte man erwarten, dass diese Maßstäbe für alle Menschen gelten und nicht nur da, wo es temporär einem Gesetzgeber in sein Kalkül passt. Doch die Repräsentanten der Staaten haben ihre eigene Moral, wie vielleicht an einem drastischen Sachverhalt deutlich wird. In Europa ist die Todesstrafe abgeschafft, in vielen Bundesstaaten der USA jedoch nicht. Obwohl die Staaten der EU mit den USA aufs Engste befreundet sind, ist es wohl für die Repräsentanten der Staaten auf beiden Seiten so eine Art »Ansichtssache«, ob der Staat Strafgefangene hinrichten darf oder nicht. Mit moralischen Maßstäben, die sich logisch für die gesamte Menschheit ergeben, will sich staatliche Rechtssetzung folglich auch bei existenziellen Fragen über Leben oder Tod nicht messen lassen. Wollen wir moralisch beurteilen, ob eine Handlung gerechtfertigt werden kann oder nicht, müssen wir fragen, ob die Handlung allgemein logisch begründbar ist. So wie zwei plus zwei überall auf der Welt vier ist, sollte auch unmoralisches Handeln überall auf der Welt als solches ohne Gesetzbuch erkennbar sein. Moralisches Handeln ist dann ein Tun oder Unterlassen, das universell gerechtfertigt werden kann. Eine moralische Norm hat unabhängig ihrer Verkündigung Gültigkeit. Deshalb muss bei der Frage nach der moralischen Rechtfertigung jeder Subjektbezug herausgehalten werden. Denn es ist keine Frage, dass alle erfolgreichen Zueigner subjektiven Nutzen aus ihrem Handeln ziehen. Und selbstverständlich gab und gibt es für jede Steuereintreibung entsprechende Begründungen. Auch »technische Fragen«, das sind Fragen nach dem Mittel für ein subjektives Ziel, sind unzulässig. Die Frage: Habe ich oder haben wir mit der Wegnahme einer Sache einen Vorteil? ist also genauso irrelevant wie zum Beispiel die Beantwortung der technischen Frage, mit welchem Mittel man sich eine bestimmte Sache am schnellsten oder billigsten aneignen kann. So vorbereitet, sollten wir uns noch darüber im Klaren sein, dass wir »das Recht«, also die Gesetze und Auslegungen des Staates, was richtig und was falsch ist, außen vor lassen müssen. Was »richtig« und was »falsch« ist, wollen wir am Beispiel von Diebstahl moralisch beurteilen. Zueignung ist als eine zwischenmenschliche Aktion zu betrachten. Ein Handeln, das andere Menschen nicht betrifft, bedarf keiner moralischen Bewertung. Damit kann die Zueignung von Sachen nur innerhalb einer (vielleicht nur temporären) Ordnung geschehen, die notwendigerweise zu einem gewissen Grad kooperativ bzw. erzwungen kooperativ sein muss. Eine solche Ordnung entsteht faktisch dadurch, dass mehrere Personen sich einen Lebensraum teilen und die zur Verfügung stehenden Sachen nicht beliebig oft vorhanden sind. Im sagenhaften Schlaraffenland existiert nur insoweit eine »Ordnung«, soweit der eine nicht auf der Stelle des anderen gleichzeitig verweilen kann. Alle Güter sind nämlich beliebig oft vorhanden, die Handlung der Aneignung entfällt. Denn es bedarf keines Sich-zu-eigen-Machens, keines Sicherns, weil jedes Gut, jede Sache beliebig oft jedem zufällt. Bestände keine Bereitschaft zur peripheren Kooperation, würden die vermutlich überfressenen Schlaraffenlandbewohner ständig übereinanderpurzeln, anstatt die minimale Ordnung zu beachten, dass man nur nebeneinander und nicht übereinander stehen und gehen kann. Das Stockholm-Syndrom: bessere Opfer können sich Täter nicht wünschen
Wird eine Ordnung gewaltsam durchgesetzt, ergeben sich aus ihr erzwungene Kooperationen. Denn die so genötigten Ordnungsnehmer vermindern regelmäßig mit entsprechender Kooperation ihre unvermeidbare Belastung. Am Beispiel eines bewaffneten Banküberfalls wird dies deutlich. Die Räuber ersetzen die Ordnung der Bank gegen ihre eigene. Wird nun den Betroffenen des Überfalls befohlen, sich an eine Wand zu stellen, kooperieren sie bereits dadurch, dass sie diesen Befehl befolgen. Kooperierten sie nicht, in dem sie auf die Räuber zugehen oder in Richtung Ausgang flüchten, zwingen sie die Räuber dazu, ihre angedrohten Sanktionen umzusetzen, um den sich durch die Nicht-Kooperation ergebenden Widerstand zu brechen. Sind die Räuber dazu nicht willens oder in der Lage (sie wollen niemand verletzen oder haben nur Schreckschusspistolen), bricht die erzwungene Ordnung zusammen. »Zahlen« jedoch die Räuber die zusätzlichen Kosten (Belastungen), die ein Brechen von Widerstand erfordert, »zahlen« die Opfer ggf. einen hohen Preis. In der persönlichen Kalkulation wird folglich das persönliche Risiko gegen die »Schmach« der Kooperation abgewogen. Die herrschende Sozialordnung ist ebenfalls eine gewaltsam durchgesetzte Ordnung. Auch eine demokratische Abstimmung über die Verfassung und jedes einzelne Gesetz – was nicht der Fall ist – würde ihr den Makel des Gewaltsamen nicht nehmen können. Denn es ist für die Frage einer gewaltsamen Einführung und Durchsetzung irrelevant, ob eine relative Mehrheit von Wählern einer Minderheit ihren Willen diktiert oder eine relative Mehrheit Parteien und ihre Repräsentanten wählt, welche dann als Parlamentarier Gesetze beschließen und diese mit dem entsprechenden Herrschaftsapparat durchsetzen. Würden in diesem Staat die Unternehmer die Erhebung, Berechnung und Abführung von Zwangsabgaben und Steuern ihrer Mitarbeiter verweigern (sprich nicht mit den Behörden kooperieren), würde der Staat in kürzester Zeit Gefahr laufen zu kollabieren.[9] So aber erfolgt Widerstand gegen diese diktierte Ordnung und erzwungene Kooperation in geringem Maße nur durch die Mittel der Schwarzarbeit, der Sozialabgabenverkürzung und durch andere informelle Regelungen, die vom Gewaltmonopolisten noch nicht kontrolliert und überwacht werden können. Die entsprechende staatliche Gegenpropaganda spricht in diesem Zusammenhang dann von »Sozialbetrug«. Man will glauben machen, dass der Schwarzarbeiter den »anständigen, armen Rentner« durch seine Tat schädigt. Dabei verschweigt man geflissentlich, dass dadurch in erster Linie den herrschenden Parasiten Mittel entzogen werden, die sie dann nicht auch noch für sich – oder ihre wahltaktischen Manöver veruntreuen können. In Analogie des erwähnten Banküberfalls fraternisieren sich nach einer gewissen Zeit die Opfer der Nötigung mit den Tätern und werfen denjenigen, die aus der Geiselhaft flüchten wollen, vor, dass ihr Befreiungsversuch aber »ungerecht« oder »unsolidarisch« sei. Bessere Opfer können sich Täter schlechterdings nicht wünschen. Große Teile der Gesellschaft leiden wohl kollektiv an dem, was man in der Psychologie als Stockholm-Syndrom bezeichnet.[10] Die erzwungene Kooperation in einer gesetzten Ordnung ist von der autoritären Ordnung abzugrenzen, unter die sich Menschen freiwillig unterordnen. Als Bespiel bietet sich hier die Organisationsform einer Aktiengesellschaft an.[11] Der Kauf einer Aktie erfolgt freiwillig. Mit diesem Kauf unterwirft man sich zum Beispiel dem demokratischen Prinzip des zuvor feststehenden Reglements bei der Vollversammlung usw. Es gibt kaum eine Chance, diese autoritäre Ordnung zu ändern, trotzdem ist sie kooperativ und gewaltfrei. Wem die Vorschriften bzw. die Abstimmungsergebnisse nicht passen, kann seine Aktien verkaufen. Es kann nun sein, dass man mit diesem Verkauf finanzielle Nachteile hat, doch dieses Risiko ist dem Käufer einer Aktie bereits beim Kauf bekannt, er geht also auch das Risiko freiwillig ein.[10] Um ein Handeln auf moralische Rechtfertigung überprüfen zu können, genügt es auch nicht, zu beobachten, was die Menschen tun oder was sie »wollen«. Millionen »wollen« so jedes Jahr zum Beispiel ihre Steuererklärung abgeben. Der Grund: Sie versprechen sich ein paar Hundert Euro Rückerstattung. Ohne die zuvor erzwungene Steuerzahlung würde aber niemand eine solche Erklärung abgeben »wollen«. Und wenn sich die weit überwiegende Mehrheit der Bürger gesetzestreu verhält, ja sogar zur Wahl geht oder den nächsten Angriffskrieg der NATO begrüßt, belegt dies lediglich, dass sich die Profiteure der gewaltsam durchgesetzten Ordnung derzeit keine Gedanken über ihren Machterhalt machen müssen. Zahlen die Menschen wie selbstverständlich Steuern, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die erzwungene Maßnahme akzeptiert wird.[13] Auch wenn die meisten Menschen nicht »klauen«, beweist dies ebenfalls nur diesen beobachtbaren Fakt und lässt keine moralischen Rückschlüsse zu. Jede Handlung (jedes Verhalten) erfolgt in der Regel aufgrund exogener Veränderungen als Reaktion und hat andererseits endogene Auswirkungen. Das heißt, Anpassungsleistungen verändern die Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen. Die erzwungene Kooperation wird eingeübt und manifestiert sich zuerst als notwendiges Übel im Bewusstsein, um sich anschließend als Selbstverständlichkeit in einem individuellen Pflichtenkatalog (wie das Zähneputzen oder den Müll runter bringen) zu verankern. Derartige Pflichterfüllung verfolgen bestimmte direkte und indirekte, mittelbare und unmittelbare Ziele, die selbstlos, edel, gut gemeint, altruistisch, selbstsüchtig oder hinterhältig sein können. Zufrieden ist derjenige, der die ihm auferlegten Zumutungen als Mittel zur Erreichung eines hehren Ziels empfindet. Es kommt deshalb nicht von ungefähr, dass jede staatlich verordnete Freiheitseinschränkung der Bürger mit der »Steigerung des Allgemeinwohls« begründet wird. Die dritte Form der Ordnung ist die kooperative Ordnung, welche selbstbestimmt von den Ordnungsnehmern eingegangen wird. Logischerweise gibt es deshalb keinen bestimmten Ordnungsgeber. Denn Ordnung entsteht selbstbestimmt, durch vertragliche Verhältnisse, eben eine Interaktion auf der Grundlage von Aggressionsverzicht. Aggression steht nämlich im Widerspruch zu Selbstbestimmung und freiwilliger Kooperation. Wenn wir eine Ordnung haben, die sich auf Selbstbestimmung und Freiwilligkeit gründet, ergibt es sich zwangsläufig, dass niemand etwas selbstbestimmt frei wählen kann, ohne die Wirkungen seiner so gesetzten Ursachen nicht auch verantworten zu müssen. Denn Handeln ist ein zweckgebundenes, bewusstes Verhalten, unabhängig davon, ob die Ziele tatsächlich erreicht werden können, also genügend überlegt wurden, oder nur passiv sind. Um nämlich handeln zu können, muss man verschiedenen Handlungsmöglichkeiten einen Vorzug geben und auswählen können.[14]
»Freiheit bedeutet
Verantwortlichkeit; das ist der Grund, (George Bernard Shaw)
Daraus folgt zwingend, dass jede Person für sich selbst auftritt und persönlich alles, was sie tut, verantwortet. Zu Schadensersatz verpflichtet wird also ggf. der, der ungerechtfertigt handelt. Und handelt er im Auftrag eines Dritten, so hat er auch diese Auftragsannahme zu verantworten. Es kann deshalb bezweifelt werden, ob sich zum Beispiel in den USA noch »unbescholtene« Bürger finden würden, die andere Menschen hinrichten, obwohl deren Schuld fraglich ist.[15] Und selbstverständlich würde sich kein Pilot mehr finden, der auf Befehl eines Vorgesetzten eine Bombe aus einem Flugzeug abwirft. Denn trifft die Bombe nicht die Angreifer, sondern Unbeteiligte, verantwortet er persönlich den Tod dieser Kinder, Frauen und Männer. Auch hier wird die staatlich angeordnete bzw. in Kauf genommene existenzielle Vernichtung Unbeteiligter mit dem Versprechen, man kämpfe für ein hehres Ziel, als notwendiges Übel verschleiert. Die weit überwiegende Mehrzahl aller Tötungen von Unbeteiligten beruht darauf, dass man die unmittelbar Handelnden von der Verantwortung ihres Handelns über Delegation entband. Man sagte sowohl dem deutschen KZ-Wächter wie dem deutschen Soldaten oder dem britischen Bomberpiloten: »Nicht du verantwortest dein Tun, sondern der Befehlshaber.« Ein solcher versteckt sich dann im Zweifel hinter dem »Rechtens«, also hinter einem Recht, das er selbst oder seiner Clique gesetzt hat.[16] Können sich aber Millionen Handelnder aus ihrer Verantwortung dadurch entbinden, dass sie sich auf einen Befehlshaber oder Auftraggeber berufen, so wird das Verschulden durch Verursachen bis ins Unkenntliche verwässert. Da sich Staaten eines riesigen Herrschaftsapparats bedienen (das sind Militär, Polizei und die gesamte Beamtenschaft sowie alle Angehörigen des sog. öffentlichen Dienstes), tun sie gut daran, das von ihnen in dieser Frage gesetzte Recht derart zu verkomplizieren, dass einerseits die Angehörigen des eigenen Herrschaftsapparats in einer gewissen Sorglosigkeit die Anweisungen befolgen können. Anderseits muss den durch den Staat Beherrschten verdeutlicht werden, dass der sie belehrende, bedrängende oder schikanierende Apparatschik im Rahmen eines höheren Gebots handelt und keinesfalls persönlich. Daraus erklärt sich die relative Zurückhaltung aller Steuerzahler in diesem Land.[17] Der Steuereintreiber ist so »unschuldig« wie der staatliche Henker in den USA oder der Bewacher eines Gulags. Doch auch im Bereich der Wirtschaft hat persönliche Verantwortung für eigenes Handeln entsprechende Konsequenzen. Ein Angestellter haftet dann für die im Auftrag verkaufte Beschaffenheit der Ware in gleicher Weise wie sein Arbeitgeber. Die Folgen sind klar: Sehr schnell findet sich niemand mehr, der im Auftrag eines Unternehmens dessen mit Mängeln behaftete Ware verkaufen will. In der ersten Annährung können wir deshalb feststellen, dass jede Person unabhängig ihrer Funktion als Ordnungsgeber oder Ordnungsnehmer eine Zueignung willentlich ausführt und diese verantwortet. Was sich die Personen von der Zueignung versprechen oder welche Konsequenzen diese in der Zukunft hat, ist erst einmal nicht von Interesse. Zueignung ist also freiwilliges Handeln, ein willentliches Nehmen. Würde der Staat zum Beispiel seine Finanzbeamten bedrohen, wenn sie seinen Anordnungen nicht Folge leisteten, wären diese selbstverständlich von ihrer Verantwortung entbunden. Tatsächlich haben sie jedoch mit dem Staat einen Handel abgeschlossen. Für die Tätigkeit, andere Leute zu nötigen,[18] gibt es Gehalt. So ist das auch mit dem Dieb innerhalb einer organisierten Bande. Auch sie paktieren selbstbestimmt und profitieren im Gegenzug von den Vorteilen der Bandenorganisation. Eine Zueignung bedarf jedoch grundsätzlich keines gebenden Subjekts. Wer ein herrenloses Gut (z. B. am Strand eine Muschel) aufhebt, hat sich diese zugeeignet, also in Besitz genommen. Auch eine derart banale Handlung braucht nicht von Dritten akzeptiert zu werden, denn es besteht ja die Möglichkeit, dass irgend eine Kultur (Religion) der Ansicht ist, Muscheln am Strand wären heilig oder sonst etwas. Damit würden die Anhänger dieses Kulturkreises (dieses Glaubens) den Muschelsammler ächten, zurechtweisen oder gar bedrohen. Darauf wird an anderer Stelle näher eingegangen werden müssen. In erster Annährung ist die Deklaration von Eigenschaften (Wertzumessung) für Dinge, welche man noch nicht einmal in Besitz hat, nur willkürlich. Umso bedrohlicher kann die Situation aber werden, erfolgt die Zueignung gegen den Willen eines persönlichen Besitzers, welcher der Sache einen bestimmten Wert verliehen hat. Eine individuelle Wertzumessung ist nämlich Voraussetzung. Denn verleiht der Vorbesitzer einer Sache keinen Wert mehr (er legt z. B. seinen Müll und Unrat irgendwo ab und hofft, dass andere seinen Dreck beseitigen), wäre ein Widerspruch gegen eine beabsichtigte Zueignung irrational. Die Zueignung von Sachen, auf welche Dritte keinen Wert oder Anspruch erheben, kann deshalb im Rahmen jeder Ordnung gewalt-, widerstands- und widerspruchslos erfolgen. Sie erfolgt aufgrund eigner Willensentscheidung und berührt keine denkbare Ordnung. Folglich erübrigt es sich, derartiges Handeln moralisch beurteilen zu wollen.[19] Beim Kauf einer Sache (es ist ökonomisch betrachtet ein Tausch) erfolgt die Zueignung im Konsens zwischen Vor- und Nachbesitzer. Verkäufer und Käufer (die Handelnden) sind sich darüber einig, dass sie mit dem Tausch beidseitig einen Vorteil erzielen wollen. Der eine hat wohl in der Regel sein Geld los und der andere die Ware, doch der beidseitige Vorteil liegt im Umstand, dass zum Zeitpunkt der Tauschhandlung dem einen Geld mehr Wert ist als Ware und umgekehrt. Wäre das nicht so, würde ein Tausch nicht stattfinden, er wäre wieder irrational.[20] Wer irgendwo angestellt ist, verfährt nach dem gleichen Prinzip: Er tauscht seine Zeit, sein Wissen und seine Kraft gegen Geld (Lohn). Jeder Tausch wird wohl dadurch wahrscheinlicher, beachtet man die Interessen des Tauschpartners, er entscheidet sich jedoch immer am subjektiven (egozentrischen) Nutzenkalkül. Das Kalkül des Tauschpartners ist weder dem Grund noch dem Grade nach erfassbar.[21] Da willentliches Geben und Nehmen (also spenden, schenken[22], kaufen, tauschen) einvernehmliche Handlungen sind, betrachten die an einer solchen Interaktion beteiligten Subjekte diese auch nicht als verwerflich. Deshalb glauben Hinz und Kunz in diesem Kontext auch zu wissen, was Diebstahl ist und was nicht. Argumentation ist zwingend ein gewaltfreier Vorgang Um auf eine nichtmaterielle Ebene zu gelangen, müssen wir uns fragen, was potenzielle Tauschpartner mit der Handlung behaupten, sprich: darstellen oder argumentieren. Durch das Angebot bzw. die Nachfrage stellen sie dar – argumentieren sie –, dass sie erstens exklusiv über das zum Tausch anstehende Objekt verfügen und zweitens, dass sie eine derartige Verfügungsmacht von ihrem Tauschpartner ebenfalls annehmen und diese achten. Dass die Preisauszeichnung der im Supermarkt liegenden Ware ein Argument[23] ist, wird nun so schnell niemand gedacht haben. Doch ein ausgezeichneter Preis erfüllt die grundlegenden Bedingungen, die man an Konversation anlegt: Er ist verständlich, in diesem Sinne wahrhaftig, offen und frei und kann einer fairen Prüfung unterzogen werden, die sich an den Wertvorstellungen und Bezügen des potenziellen Käufers orientiert.[24] Kann der potenzielle Käufer nicht feilschen (im Supermarkt fehlt eventuell der Ansprechpartner), so steht es ihm also frei, das Argument zu akzeptieren oder nicht. Akzeptiert er durch Kauf, hat ihn das Argument des Verkäufers folglich überzeugt. Es wurde Konsens zwischen Verkäufer und Käufer erzielt. Selbstverständlich gibt es auch »Verkaufsgespräche«, welche nicht derart einseitig und still verlaufen. Doch wer sich bereits einmal im sonnigen Süden vom Blechschmuck bis zum Ferienappartement etwas hat »andrehen« lassen, muss sich fragen, was ihn »gezwungen« hat, die Argumente des beredten Verkäufers nicht zu überprüfen und sich keine Zeit einzuräumen, das Angebot mit eigenen Bezügen zu vergleichen. Die Antwort ist eindeutig: Tief im Innern lauerte ein klammheimlicher Wertmaßstab, der sich diese »einmalige, nur jetzt vorhandene Chance des Vorteils« passend machte. Die Frage, warum ein so »tolles Angebot«, das mit viel Aufwand und allerlei Zinnober, wie sauer Bier beworben werden muss, eingegangen wird, kennt nur eine Antwort: Dummheit und Gier. Wie auch immer derartige Argumente ankommen, das Gegenargument kann sich stets auf ein schlichtes »Nein« beschränken. Ferner gibt es keine Regel, welche verpflichtet, sich weitere Argumente anzuhören. In unserem Zusammenhang muss klar werden, dass Argumentation ein gewaltfreier Vorgang ist, der das Ziel hat, den anderen zu überzeugen. Sind die Tauschpartner von den Argumenten des jeweils anderen überzeugt, so erfolgt der wechselseitige Übergang der jeweiligen Verfügungsmacht. Wäre das nicht so, würde der Tausch nicht stattfinden oder es müsste mit angedrohter oder angewandter Gewalt erzwungen werden. Argumentation schließt jedoch Gewalt aus. Wer Gewalt androht und im Zweifel anwendet, argumentiert nicht, noch kann er Konsens erzielen. Damit haben wir implizit eine Regel formuliert, der potenziell eine unendliche Menge verständiger Menschen zustimmen kann. Sie stimmt auch mit der Realität überein, weil die Tauschpartner in freier Selbstbestimmung das für sie maximal Mögliche erreicht haben. Denn auf die Frage: Wollt ihr dies? würden beide zum Zeitpunkt des Kaufes mit Ja antworten. Mehr kann man von einer menschlichen Regel nicht erwarten. Die Aussage der Regel ist jedoch auch wahr, weil sie sich widerspruchsfrei in ein System bereits als wahr akzeptierter Aussagen einbauen lässt. Eine dieser Aussagen lautet: Menschen streben Ziele an und wollen sich dadurch verwirklichen. Immer dann, wenn wir in diese Regel Elemente einbauen, welche eine freie willentliche Entscheidung stören oder verhindern, stehen wir im Widerspruch zur Regel selbst. Wer eine Person bedroht, kann von ihr keine »Zustimmung« bekommen. Denn die Worte, welcher der Bedrohte sagen soll, sind die Worte des Aggressors. Wer Menschen zu bestimmten Zielen zwingt, kann nicht behaupten, dass sie Ziele anstreben, denn sie »streben« das Ziel des Bezwingers an. Wer sich heimlich die Verfügungsmacht über den Besitz eines Anderen verschafft, wendet wohl keine Gewalt an, aber umgeht die Selbstbestimmung seines Opfers, verlässt die Ebene der Argumentation und bleibt unfähig, Konsens herzustellen. Der Täter nimmt auch wie selbstverständlich an, dass sein designiertes Opfer die Verfügungsgewalt über diese Objekte besitzt und potenziell bereit ist, auf dieser zu beharren. Der Täter ist sich seiner ungerechtfertigten Handlung also bewusst. Nähme er im Gegensatz dazu nämlich an, dass die Zielperson ein Krokodil wäre und er vor diesem sein eigenes Hab und Gut zu retten versuchte, er bräuchte sein Handeln nicht zu verheimlichen und würde davon ausgehen, dass alle Personen innerhalb einer kooperativen Ordnung sein diesbezügliches Verhalten akzeptieren würden. So aber wird er innerhalb der kooperativen Ordnung nur dann akzeptiert, sprich: als integere, zur Argumentation fähige Persönlichkeit anerkannt, wenn er sein ungerechtfertigtes Handeln verheimlicht. Denn es steht nicht nur im Widerspruch zur kooperativen Ordnung, sondern auch zu seinen eigenen Ansichten (Werte) über richtig und falsch. Würde der Dieb nämlich sein eigenes Handeln als moralisch gerechtfertigt betrachten, so würde er nicht ruhen, bis ein anderer Dieb wiederum seinen Besitz stehlen würde. Aber weshalb sollte er stehlen, verfolgte er nur den Zweck, den so erworbenen Besitz wieder zu verlieren? Folglich wehrt sich auch der Dieb dagegen, »bestohlen« zu werden. Das heißt: Er möchte nur im Konsens seinen Besitz tauschen wollen. Damit beweist er, dass er seine Taten nicht rechtfertigen kann und er sich mit seinem ungerechtfertigten Handeln außerhalb der (seiner) kooperativen Ordnung setzt. In dieser Analogie können auch staatliche Zwangsmaßnahmen bewertet werden. Würden die Machthaber ihre Normen als kooperative Vereinbarungen betrachten, bräuchten sie keine Sanktionen anzudrohen. Würde der Staat jedoch Zwang als moralisch, allgemeingültiges Mittel zur Zielerreichung ansehen, müsste er sogenannte Terroristen für ihre Erpressungen und Nötigungen willkommen heißen. Das egozentrische Nutzenkalkül ist weder dem Staat noch dem Dieb vorzuwerfen. Ein solches verfolgt jeder Verkäufer, will er seinen Preis maximieren, und jeder Käufer, will er die Ware zum Schnäppchenpreis erwerben. Vorwerfbar ist dem Täter, dass er dem Mitmenschen seinen Besitz verwehrt, aber selbst diese Regel in Anspruch nehmen will. In dem Moment, in dem wir Diebe zur Verantwortung ziehen, werden sie kein Argument haben, widerspruchsfrei ihr Handeln zu rechtfertigen. Damit ist eindeutig dargelegt, was gerechtfertigte Zueignung ist: Sie ist die Besitznahme von Objekten als konsensuelles Ergebnis einer Argumentation. Gewalt steht im Widerspruch zur Argumentation, ihre Umgehung im Widerspruch zum konsensuellen Ziel. Beide Vorgehensweisen können folglich moralisch nicht gerechtfertigt werden. Anders ausgedrückt: Handeln innerhalb einer kooperativen Beziehung kann nur dann »rechtens« im Sinne von richtig sein, wenn es widerspruchsfrei gerechtfertigt werden kann. Damit haben wir eine »gültige Regel« innerhalb einer kooperativen Ordnung erarbeitet. Ein Dieb und jeder andere, der sich außerhalb von Konsens Sachen zueignet, verletzt durch sein Handeln diese Regel und wäre folglich zum Schadensersatz verpflichtet. Fassen wir fürs Erste zusammen:
Was folgt daraus für unsere persönliche Moral und unsere Beurteilung staatlicher Herrschaft und ihrer politischen Varianten? Zuerst einmal müssen wir erkennen, dass jeder Einzelne von uns sich dafür entschieden hat, die Vorteile menschlicher Interaktion in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet zwingend, das Prinzip der Nicht-Aggression anzuerkennen. Unser Leben in einer arbeitsteiligen Welt lässt keinen anderen logischen Schluss zu. Die theoretisch mögliche Entscheidung, sich auf einen Raum zurückzuziehen, um nur noch für uns selbst zu arbeiten und jegliche Interaktion abzulehnen, gerät bereits in Widerspruch, fragen wir uns, wem dieser Raum gehört, in dem wir hausen, Ackerbau betreiben und/oder jagen gehen. Was die biblischen Figuren Adam und Eva anstellten, kann hier nur vermutet werden, doch bereits die Verabredung zum gemeinsamen Essen von Früchten ist zwischenmenschliche Interaktion, damit argumentatives Handeln. Andernfalls hätte Eva ihrem Partner den Apfel mit Gewalt aufdrängen müssen. Aber es gibt noch andere Varianten: Mann und Frau vereinbaren einvernehmlich, dass an den geraden Tagen die Frau und an den ungeraden Tagen der Mann über die Geschicke der Kleinfamilie bestimmt. Der Vorteil ist, dass man sich nicht täglich einigen muss, was es zum Mittagessen gibt. Adam kann so maximal seine kulinarischen Vorstellungen verwirklichen und Eva ebenfalls. Und so gibt es eines Tages Apfelkompott. Ob damit die biblische Geschichte wieder auf das alte Gleis gestellt wird, ist fraglich. Denn je nach rechtsetzender Autorität wird die Verantwortung Adams beliebig ausgelegt. Nach dargelegtem libertärem Verständnis verantwortet Adam sein eigenes Handeln (essen) und eventuell auch die Auftragserteilung an Eva, für ihn Essen zuzubereiten. Damit müsste er den Vorteil, den er durch das Apfelkompott hatte, wieder herausgeben. Ein weites Feld. Immer ist jedoch die von Gott exekutierte Sanktion willkürlich. (Das alles natürlich nur in der so skizzierten biblischen Kindergeschichte.) Wird aber durch den Regelverstoß der Mensch erkenntnisfähig, so ergeben sich andere Widersprüche. Adam und Eva waren vor dem Apfelkompott überhaupt keine Personen, welche frei willentlich entscheiden konnten. Folglich liegt die alleinige Verantwortung bei Gott. Er hat auf seine »Äpfel« selbst aufzupassen. Werden nun die beiden Dummköpfe durch ihr instinktives Agieren schlau, so ist die Vertreibung aus dem Paradies keine Sanktion des Ordnungsgebers, sondern logische prozessuale Folge (»verschüttete Milch«). Denn es ist unmöglich, einmal Erkanntes nachträglich nicht erkennen zu wollen. Man kann bestimmte Erkenntnisse höchstens verdrängen oder ignorieren. Der viel gerühmte politische Wettbewerb ist moralisch sowenig legitimierbar wie eine Diskussion unter Räubern. Damit wären wir bei den heutigen Herrschaftsstrukturen. Es kann nicht verwerflich sein, in freier Selbstbestimmung eigene Aufgaben zu delegieren. Eine solche Delegation darf jedoch keine andere gültige Regel verletzen. Diebstahl zu delegieren, ist im gleichen Maß moralisch nicht zu rechtfertigen, wie selbst zu klauen. Da es jedoch unmöglich ist, an x-beliebigen Orten gleichzeitig selbst zu Stehlen oder andere Personen zu nötigen, aber sehr wohl möglich ist, Millionen Menschen zu beauftragen, Dritten ihren Besitz wegzunehmen, kann eine Anstiftung zum ungerechtfertigten Handeln weit schwerer wiegen als das kriminelle Tun eines Einzelnen. Jeder Einzelne von uns, der bei der letzten parlamentarischen Wahl irgendeine politische Partei gewählt hat, stimmte deshalb dem Verfahren zu, dass sich Machthaber propagandistisch legitimiert fühlen, sich und ihren Herrschaftsapparat gewaltsam zu finanzieren. Wer zur Wahl geht und gültig wählt, verantwortet deshalb die von den Machthabern ausgehenden Gewalttaten mit. Keine Frage, dass man sich zu moralisch nicht gerechtfertigem Tun auch nicht legitimieren lassen kann. Doch propagandistisch kann man alles behaupten und wiederholt man es oft, empfindet es die Mehrheit der Leute als »rechtens«. Doch die Machthaber des Staates (das sind die Parlamentarier) begnügen sich nicht damit, sich selbst und ihren Herrschaftsapparat (das sind die Beamten und der gesamte öffentliche Dienst) ohne moralische Rechtfertigung zu bereichern bzw. zu begünstigen. Ein Großteil der Steuern und Zwangsabgaben werden erhoben, um die so vereinnahmten Gelder in der Bevölkerung umzuverteilen. Es sei daran erinnert: In einer kooperativen Ordnung signalisieren wir unserer Umgebung, dass wir zur Argumentation und zum Konsens fähige Personen sind und dies bei unserem Gegenüber ebenfalls unterstellen. In der primitivsten denkbaren Ordnung bedeutet dies zumindest, dass zwei Personen, kreuzen sich ihre Wege, aneinander vorbeigehen, anstatt sich anzurempeln. Die Lüge ist ein konstituierender Bestandteil des Parlamentarismus und keine Ausnahmeerscheinung. Der Parlamentarismus pervertiert dieses Prinzip und gaukelt Argumentation und Konsens lediglich vor. Denn jeder Aufruf der sogenannten sozial, verantwortlichen Demokraten, den einen das Geld wegzunehmen, um es (stets zu einem geringen Teil) anderen wieder zu geben, zielt nicht auf Konsens ab, sondern ist lediglich verantwortungsloses Geschwätz. Denn ein Konsens ist ja unter den Betroffenen zu erzielen und nicht über deren Meinung hinweg. Der viel gerühmte politische Wettbewerb ist moralisch sowenig legitimierbar wie eine Diskussion unter Räubern, ob man gemeinsam einen Reichen überfällt oder sich die Spargroschen der Bewohner eines Altenheims aneignet.[26] Die so entstandene soziale Ordnung basiert deshalb auf den Gewaltfantasien unterschiedlicher Gauner und ihrer Profiteure. Sie benötigen diese »Ordnung«, um unangegriffen abkassieren zu können. Da die selbst gesetzte Regel den Zugang zur Macht über ein von den Parteien bestimmtes offenes System vorschreibt, sind die Machthaber darauf angewiesen, relative Mehrheiten des wählenden Plebs durch populistische Geschenke zu korrumpieren. Das ist ein vollkommen rationales Verhalten und hat nichts mit Moral zu tun. Denn zum Ziel des Machterhaltes durch Wählerstimmen nutzt nur Populismus. Die Lüge ist ein konstituierender Bestandteil des Parlamentarismus und keine Ausnahmeerscheinung. Die sozialen und wirtschaftlichen Krisen und die ständigen Forderungen nach immer neuen Sondergesetzen machen deutlich, dass das politische System sich nur durch Falschmünzerei und erpresserische Expansion am Leben erhalten kann. Eine derartige Vorgehensweise erscheint deshalb so selbstverständlich, weil es die Machthaber geschafft haben, ihre Gewalt- und Ausbeutungsprinzipien großen Teilen der Bevölkerung als Maßstab der Vernunft zu verkaufen. Und weiter: Bei aller Kritik an der herrschenden Politik nehmen die Leute an, sie wären Bestandteil des Systems. Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, das aufgrund der bisherigen Ausführungen erkennen können, so geht es ihnen wahrscheinlich wie Adam und Eva nach der Speise des Apfelkompotts: Sie kommen hinter diese Erkenntnis nicht mehr zurück und erkennen gleichzeitig das gewalttätige Potenzial der Machthaber.
Fußnoten [1] Das gängige Bild vom »Apfel« als verbotener Paradiesfrucht beruht nicht auf der Bibel, sondern angeblich auf einer falschen Übersetzung des lateinischen Wortes malum, das sowohl »das Übel« als auch »der Apfel« bedeuten kann. In vielen Darstellungen und Büchern der Katechese findet jedoch das Bild mit dem Apfel Verwendung. [2] Dekalog in der Fassung des 2. als auch der des 5. Buches Moses. Zweifelsfrei sind biblische Geschichten von Menschen verfasste Erörterungen zum damaligen gesellschaftlichen Leben. Begriffe wie Gott, Zeus, Odin etc. haben zu der realen Welt keinen Wahrheitsbezug. Die Tatsache, dass es möglich ist, sich ein perfektes, höchstes Wesen vorzustellen, beweist lediglich, dass der Mensch ausgeprägte kreative Fähigkeiten haben kann. [3] Bürger, welche nicht Unternehmer sind, haben wenig mit dem Finanzamt zu tun. Denn die Steuer und Zwangsabgaben werden ihnen vom Lohn einbehalten. Nur Unternehmer machen regelmäßig die Bekanntschaft mit Betriebsprüfern. [4] Jeder fortgesetzte Widerstand (abzugrenzen vom Protest) gegen staatliche Anordnungen führt zur existenziellen Vernichtung. Bei Unternehmern ist das bevorzugte Mittel die Gewerbeuntersagung, bei Selbstständigen das Berufsverbot. [5] In der Philosophie spricht man von der Lehre vom Beweis. Die Modallogik kennt wahre, falsche, mögliche und unmögliche Aussagen. [6] Nicht weniger willkürlich ist die ausgewiesene Sanktion. § 328 StGB (Herbeiführen einer nuklearen Explosion) droht z. B. mit den genau gleich hohen Sanktionen. [7] Sie ist nach der jüngsten Gesetzeslage (2012) auch dann »rechtens«, wenn der Bescheid, auf dem sie beruht, sich als falsch herausstellt. [8] Wer Steuer und Zwangsabgaben vom Einkommen fordert, wer den Umsatz und den Grundstückskauf besteuert, wer zusätzlich Verbrauchssteuern auf Mineralöl und Tabakwaren, Bier und Schnaps usw. erhebt, muss jede Transaktion zwischen den Wirtschaftssubjekten überwachen. Und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Registrierkasse des kleinsten Krämers eine elektronische Schnittstelle zur Finanzverwaltung haben muss. [9] Deshalb würde der Staat Teile des Plebs gegen die Unternehmer und Leistungsträger mobilisieren (Steuer- und Abgabenprofiteure gegen Steuer- und Abgabenzahler). In abgeschwächter Form ist dies bereits heute gängige Praxis. Nur so ist es den Gaunern innerhalb der Parlamente möglich, relative Mehrheiten zu bekommen. [10] Die Opfer von Geiselnahmen bauen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern auf. [11] Dass die Ordnung einer Aktiengesellschaft vom Staat durch allerlei Gesetzeswerk und einschlägige Rechtssprechung noch zusätzlich verkompliziert wird, soll hier nicht interessieren. [12] Das analoge Argument, man könne ja den Staat verlassen, wenn es einem nicht passe, ist jedoch irreführend. Die Menschen wachsen nicht in einem Land auf, weil sie sich freiwillig für die Machthaber entschieden – oder mit diesen einen Vertrag haben, sondern die Machthaber haben sich die Menschen untertan gemacht. Nicht die Unterdrückten haben ihre Heimat zu verlassen, sondern die Machthaber haben ihre Unterdrückung einzustellen und ihre Macht niederzulegen. Natürlich müssen auch sie nicht ihre Heimat verlassen, sondern eben arbeiten gehen wie die anderen Menschen auch. [13] Es ist Mode geworden, dass sich gewisse Selbstdarsteller in den Medien dadurch profilieren, gerne mehr Steuern bezahlen zu wollen. Nur zu! Keiner dieser Schwätzer zahlt jedoch freiwillig nur einen Cent mehr, als er muss. Mit derartigen Leuchten ebnete der parlamentarische Machthaber dann auch den Weg zur Einführung der sog. Reichensteuer. Die Realität: Der Multimillionär schwätzt in den Medien dumm aus sich heraus und der Facharbeiter im Automobilwerk zahlte am Schluss »Reichensteuer« auf seinen Lohn. [14] Vgl. Mises, Ludwig v.: »Nationalökonomie, Theorie des Handelns und Wirtschaftens«, Auburn, 2007 [15] Eine Schuld ist immer dann fraglich, wird der Täter nicht auf frischer Tat ertappt oder verfolgt und bestreitet die Tat. Gesteht er die Tat im Beisein eines Vertrauten seiner Wahl, obwohl er sie überhaupt nicht begangen hat, so hat er dies selbst zu verantworten. [16] Das gesetzte Recht der Besiegten wird dann mittels des gesetzten Rechts der Sieger zum »Unrecht« erklärt. Das ist nebenbei bemerkt ein guter Beweis dafür, dass jedes gesetzte Recht ein Recht des Stärkeren ist. [17] Da bestimmte Steuerzahler an vorhandene Ermessensspielräume bei den Finanzbeamten appellierten, die Angelegenheit also doch persönlich nahmen, werden vom Gesetzgeber diese Ermessensspielräume sukzessiv beseitigt. [18] Das empfindliche Übel, mit dem »der Finanzbeamte« droht, ist nicht von ihm selbst formuliert, sondern steht im Gesetz. [19] Beurteilt wird die Zueignung und nicht das unakzeptable Müllabladen. [20] Beurteilungen nach der Tauschhandlung (»verdammter Mist, der Mantel steht mir ja gar nicht, das Geld hätte ich mir sparen können«) sind irrelevant und gehen zu Lasten dessen, der sich geirrt hat. Vergleiche auch obige Ausführungen über verantwortliches Handeln. [21] Wer ein Gut für beispielsweise 100 Euro erwirbt, bekundet mit dem Kauf, dass es ihm mindestens soviel wert war. Nach zehn Minuten sieht man in einem anderen Laden das gleiche Gut für 70 Euro. Folglich fühlt sich der Käufer um 30 Euro »betrogen«. Vielleicht geht er zurück und will den ursprünglichen Kauf rückgängig machen. Man stelle sich nun vor, die Reihenfolge verläuft umgekehrt. Ein Gut ist einem mindestens 100 Euro wert, man erwirbt es aber für 70. Zehn Minuten später sieht man, dass das Gut irgendwo für 100 Euro angeboten wird. Während man im ersten Fall den Vorteil dem Verkäufer streitig machen will, denkt man im zweiten, umgekehrten Fall noch nicht einmal daran, den selbst erzielten Vorteil mit dem Verkäufer zu teilen. Ihm also zumindest 15 Euro freiwillig nachzuzahlen. [22] Schenken ist der Tausch Ware/Geld gegen Anerkennung und Dank. [23] Das lateinische »argumentum« bedeutet Veranschaulichung bzw. Darstellung. [24] Aufzählung der ethischen Anforderungen an eine Argumentation frei nach Tetens, Holm: »Philosophisches Argumentieren«, München 2004 [25] Philosophen nennen diese Konstruktion einen performativen Widerspruch. [26] Der real existierende Parlamentarismus versucht in der Regel beides. |
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Erstellt am 04.09.2012, zuletzt aktualisiert 02.04.2017. Alle Rechte vorbehalten. | |